Was haben Medikamente mit Möbeln zu tun ?

Bödeli Info vom März 2016

Was haben Medikamente mit zusammensetzbaren Möbeln zu tun?

Sie haben recht: gar nichts – mindestens auf den ersten Blick nicht. Einige von Ihnen kennen sicher das Gefühl, wenn am Schluss des mühsamen Zusammensetzens eines frisch gekauften Möbelstückes zu wenig Schrauben vorhanden sind und irgendetwas schief herumsteht. Nicht? Dann gehören Sie wahrscheinlich zu den Glücklichen, die handwerklich sehr viel höher begabt sind als ich oder sie verstehen die dazugehörenden Anleitungen und können das was drauf steht gut umsetzen. Nicht nur Lesen und Verstehen, sondern auch noch Anwenden – höhere Schule also. Viele Vertreiber von günstigen Möbeln können deshalb so günstige Produkte verkaufen, weil sie die Gestelle, Betten und Schränke nicht selbst zusammenbauen, sondern in Elementen liefern. Sie hatten früher oft das Image, dass ihre Anleitungen kaum zu verstehen und die Zahl der Schrauben nicht immer ganz den Vorgaben entsprachen. Solche gibt es immer noch, aber es hat sich mittlerweile stark gebessert. Das grosse schwedische Einrichtungshaus lässt jeweils eine Gruppe von unterschiedlich begabten Leuten die Möbel nach Anleitung zusammensetzen und schaut was genau verstanden wird und was nicht. Je nach Resultat werden Verbesserungen angebracht, so dass handwerklich unterbegabte wie ich eine Chance haben zuletzt ein ansehbares Möbelstück in ihrer Wohnung zu haben. Man nennt in Neuhochdeutsch User-Testing. Der Markt hat hier reagiert und führt zum notwendigen Druck. Andere Firmen ziehen nach. Und was hat das mit Medikamenten zu tun? Sie haben sicher schon eine Patienteninformation eines Medikamentes gelesen. Haben Sie verstanden was dort steht? Es gibt neben der Patienteninformation noch eine sogenannte Fachinformation für Ärzte und Apotheker. Eine grosse Untersuchung in Deutschland hat gezeigt, dass rund 80% der Leser von solchen Fachinformationen die gesuchten Angaben nicht innert nützlicher Zeit finden. Zum Beispiel müssen Ärztinnen und Ärzten manchmal eine Dosis anpassen, weil die Niere nicht so gut funktioniert. In vielen Texten steht drin, dass man tatsächlich die Dosis anpassen muss. In über 50% der Fälle steht aber nicht wie. Das löst dann mühsame Abklärungen über viele Stellen aus. Wir Apotheker sind sehr oft konfrontiert mit der Frage ob ein Medikament über eine Sonde verabreicht werden darf. Klar – wir wissen viel. Aber es wäre doch sehr hilfreich, wenn diese Angaben irgendwo ablesbar wären. In den allermeisten Fällen ist in den behördlich abgesegneten Informationen nichts zu finden. Weiter geht’s mit den Informationen für die Pflege, die die Angaben darüber wie man ein zu spritzendes Medikament auflöst und verabreicht oft über mehrere Seiten zusammensuchen muss. Für beide machen wir quasi eine Übersetzung der Fachinformation damit die relevante Information schnell und brauchbar zur Verfügung steht. In meiner Wahrnehmung sind offizielle Fachinformationen mittlerweile nicht mehr primär zur Information der Fachleute gedacht, sondern immer mehr eine Absicherung für die Firmen, damit ihr Haftpflichtrisiko sinkt. User-Testing wäre auch bei Fach- und insbesondere bei Patienteninformationen hilfreich. Es sollte ja darum gehen die Patienten über die korrekte Anwendung und über Risiken und Nebenwirkungen zu informieren. In vielen Ländern wurde User-Testing insbesondere für Patienteninformationen eingeführt. In der Schweiz ist das kein Thema. Eben genau darum haben Medikamente und Möbel auch auf den zweiten Blick gar nichts miteinander zu tun.