Die Beurteilung von Wirkung und Kosten bei Medikamenten

Kolumne Bödeli-Info März 2017

Während den vergangenen vier Jahren war ich Mitglied der eidgenössischen Arzneimittelkommission. Sie berät die Verantwortlichen des Bundesamtes für Gesundheit welche Medikamente, für welche Therapie, zu welchem Preis von der obligatorischen Grundversicherung übernommen werden sollen. Im Prinzip musste der Nutzen eines Medikamentes bewertet werden.

Ist es tatsächlich notwendig, teure Therapien über die obligatorische Grundversicherung zu finanzieren. Lohnt sich das?

Gegenfrage: lohnt sich Feuerwehr überhaupt? Wäre es nicht besser, man würde ab und zu ein Haus ganz abbrennen lassen statt es zu löschen? Einige von Ihnen werden ob solch einer Frage entsetzt sein. Es geht mir ums Beispiel und nicht um eine Kritik am selbstlosen Einsatz der Feuerwehr, für den hohen Respekt habe und dankbar bin! 

Stellen Sie sich vor sie würden in einem Dorf wohnen in dem am einen Ende ein Pflegeheim mit 18 Demenzkranken steht und am anderen Ende ein Heim mit 12 Waisenkindern. Im sehr abgelegenen Dort brennen beide Häuser gleichzeitig, es existiert nur ein Löschfahrzeug. Sie müssen sich entscheiden wo sie zuerst hinfahren. Aufgrund von was entscheiden Sie?

Genau solche Fragen sind im Gesundheitswesen zu beantworten. Welche Therapie wird bei sich verknappenden Geldmitteln für wen genau bezahlt und wer hat das Nachsehen. 

Zwei Beispiele dazu:

Hepatitis C ist eine Lebererkrankung, die bei einigen Patienten eine Leberverhärtung verursacht. Diese kann sich zum Leberkrebs weiterentwickeln oder so gravierend werden, dass die Leber transplantiert werden muss. Es gibt jetzt eine Therapie deren Erfolgsaussichten bei ca. 95% liegt. Vier Tabletten sind einzunehmen, fertig. Die Therapie kostet pro Fall ca. 80’000.- 

In der Schweiz leben schätzungsweise 50 bis 80’000 Patienten mit Hepatitis C. Davon können ca. ein Drittel von der Therapie profitieren. Das kostet demnach zwischen 1,4 bis 2 Milliarden Franken. Wer darf die Therapie haben und wer nicht?

Zweites Beispiel: Eine neue Therapie für einen speziellen Typen von Brustkrebs kostet in einem Jahr rund 110’000 Franken. Sie verhindert das weitere Tumorwachstum während ca. 6 Monaten. Das Leben wird im Schnitt um 6 Monate verlängert. Es gibt in der Schweiz jährlich ca. 1000 Frauen, die von dieser Therapie profitieren können. Die Gesamtkosten betragen also etwa 110 Millionen Franken pro Jahr. Das Resultat ist der sichere Tod – 6 Monate später als ohne diese Therapie, denn diese spezielle Art von Krebs ist unheilbar. Welchen Wert dürfen diese sechs Monate für die soziale Krankenversicherung haben? Was ist zu tun, damit die Krankenkassenprämien mit der Aufnahme der beiden Medikamente in die obligatorische Grundversicherung nicht steigen?

Selbstverständlich möchte jede betroffene Person die Therapien für sich in Anspruch nehmen. Wer betroffen ist, dem ist die Statistik egal. Das ginge mir genau gleich. Und gerade bei aussichtslosen Tumorerkrankungen klammert sich der eine oder andere an die Hoffnung, dass er oder sie von der Therapie profitieren kann, auch wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit noch so klein ist. 

Trotzdem gilt es Kriterien festzulegen, in welchem Fall eine Therapie bezahlt wird und in welchem nicht. Mit dem Risiko, dass es jene, die es sich leisten können, die Therapie trotzdem erhalten, weil sie sie selber zahlen. Eine nicht immer ganz einfache Gratwanderung zwischen Hoffnung und nüchternem Realismus mit stetigem Blick auf die Kosten.