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Versorgung mit Arzneimitteln – ein System auf der Kippe

Essay publiziert in der Schweizerischen Ärztezeitung 21.06.2023

In der Schweiz entscheiden in erster Linie die Pharmafirmen darüber, welche medikamentösen Therapien hierzulande zur Verfügung stehen. Dass diese Philosophie nicht aufgehen kann, haben die Spitäler schon seit Anfang der 2000ender Jahre erfahren, als viele kritische Arzneimittel vom schweizerischen Markt verschwunden sind. Wäre das Heilmittelgesetz im Jahr 2010 nicht grundlegend revidiert worden, wäre die Versorgung spätestens während der Pandemie zusammengebrochen.

Dass Gleiches auch im ambulanten Markt droht, da sich der Markt stark verändert, wollte man lange nicht hören.
Insbesondere neuere Arzneimittel gegen Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder psychiatrische Leiden haben bis vor wenigen Jahren dominiert. Die Innovationskraft der pharmazeutischen Industrie ist ungebrochen. Nur fokussiert diese heute stärker auf gezielte Therapien bei Krebsleiden, bei immunologischen und bei seltenen oder nach wie vor unbehandelbaren Krankheiten. Innovationen gehören heute in der Regel in den Bereich der hochteuren Therapien.
Im groben Kontrast dazu stehen die «alten» Präparate. Verlieren diese das Patent, werden sie auslizenziert und dem allgemeinen Markt übergeben. Rentieren sie nicht mehr, dann werden sie nicht mehr vertrieben. Die Strategien der innovativen Firmen sehen alte Präparate nicht vor. Zum Beispiel werden Präparate wie Valium, Bactrim oder Dormicum schon lange nicht mehr von Roche, sondern durch eher unbekannte Firmen wie Euromedica, Atnahs oder CPS Cito Pharma vertrieben. Die gleiche Entwicklung ist bei fast allen Originalherstellern festzustellen.
Andere Firmen lagern alle alten Präparate in neue Firmen aus – wie Pfizer an Viatris oder MSD an Organon. Auch diese neuen Firmen gehen an die Börse.
Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen vier Jahren stark beschleunigt.
Jene Firmen, die die Präparate übernehmen, schwimmen im gleichen Teich wie die Generikahersteller und haben den kleinen Vorteil der Sicherung der Markenrechte des Originals und allenfalls des Registrierungsdossiers. Der Rest ist überall gleich. Alle Firmen müssen sich die Wirkstoffe auf dem Weltmarkt beschaffen oder eigene Produktionsstätten aufbauen. Bei Spin-offs bleiben die bisherigen Produktionsstätten erhalten. Die Lieferketten werden optimiert. Firmen, die noch eine eigene Produktion haben, werden spätestens dann eine Alternative suchen, wenn sie investieren müssten. Ganz wenige Firmen sind philanthropisch eingestellt – es gibt sie noch. Personelle Wechsel in diesen Unternehmen können allerdings zu Richtungswechseln führen. Rentabilität ist oft die Priorität und die einzelnen Medikamente respektive deren Einsatz in der Therapie verlieren ihren Stellenwert.
Zwar ist der Standard für die Produkte bezüglich der Qualität überall gleich und wird auch international kontrolliert. Die Rahmenbedingungen könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Wirkstoffproduktion ist energieintensiv, ist unkontrolliert eine grosse Belastung für die Umwelt und oft sind die Arbeitsbedingungen in asiatischen Ländern nicht besonders gut.
Wer in diesem Umfeld in einem europäischen Land in eine Produktionsstätte investieren muss, überlegt es sich zweimal. Der Wettbewerb und die Regulierungen bevorzugen sie nicht, genauso wenig wie Hersteller, die «Multisourcing» betrieben, ihre Lieferketten also grundsätzlich auf Resilienz auslegen. Der günstigste Anbieter setzt den Preis, alle anderen müssen folgen. Ob die Versorgung damit gesichert ist, ist egal.
Je grösser die Rendite sein muss, desto kleiner und fokussierter wird das Angebot. Die Reduktion geht zu Lasten der «unrentablen» Wirkstoffe wie Antibiotika oder der aufwändigeren Randformen, wie jener für Kinder, für die Palliativmedizin oder für Spitalpräparate. Diese werden verdrängt zu Gunsten von Medikamenten wie Biosimilars, die eine grössere Rendite abwerfen als es beispielsweise Parkinsonmedikamente tun.
Eine amerikanische Studie hat kürzlich den Weltmarkt von patentfreien Wirkstoffen untersucht und festgestellt, dass es für einen Drittel der Wirkstoffe weltweit gerade mal einen Hersteller gibt1. Für einen weiteren Drittel gibt es zwei bis drei Hersteller und für einen weiteren Drittel vier oder mehr.  Je länger der Patentablauf zurückliegt, desto weniger Hersteller gibt es. Rund 10% der Produktionsstätten haben zudem in den vergangenen fünf Jahren von der FDA einen Warning-Letter erhalten. Das heisst konkret: es muss investiert werden, sonst wird der Firma die Bewilligung entzogen, unabhängig vom Stellenwert des Wirkstoffs in der Therapie. Auch dann, wenn sie die Einzigen Produzierenden weltweit sind.
Freilich gibt es noch Hersteller von Wirkstoffen in Europa, insbesondere in Italien. Die Schweiz kommt in der bereits erwähnten amerikanischen Studie gar nicht vor. Europäische Werke laufen rund um die Uhr oder sie rentieren nicht. Das heisst dann auch: wenn ein anderer Hersteller ausfällt, gibt es keine Reaktionsmöglichkeiten, insbesondere wenn die asiatische Konkurrenz einen hohen Marktanteil hat.
Ganz aktuell kommen Lieferschwierigkeiten bei der Verarbeitung zum verwendungsfertig verpackten Medikament dazu. So ist der Preis für Pharmaglas wegen des Krieges in der Ukraine stark gestiegen. Die Verfügbarkeit von Plastikbehältern ist eingeschränkt, ja sogar Karton ist ein knappes Gut, Energiekosten explodieren, Fachkräfte sind knapp, einige Hilfsstoffe sind beschränkt lieferbar. Also was macht man dann als Firma? Entweder eliminiert man ein unrentables Produkt ganz oder man setzt auf jene, bei denen die Rendite am grössten ist. So dreht sich die Spirale weiter. In Deutschland hat sich im Herbst 2022 der zweitletzte Hersteller von Paracetamol-Sirup aus dem Markt zurückgezogen, so dass die ganze Versorgung nur noch von einem einzigen Anbieter abhängig ist. Zehn Jahre zuvor waren es noch zwölf Anbieter. In der Schweiz gibt es zwei Anbieter, der eine kann allerdings seit Monaten nicht liefern.  Nur noch ein Hauptanbieter übrig | PZ – Pharmazeutische Zeitung (pharmazeutische-zeitung.de)

Jetzt mag man vom Büro in Solothurn, von der Einsteinstrasse in Bern oder vom Liebefeld aus sagen, dass das eine globale Entwicklung sei, die ja maximal einen indirekten Bezug zur Schweiz habe. Machen könne man eh nichts, ausser mitzuschwimmen in dieser Entwicklung und davon zu profitieren.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Es wäre falsch zu behaupten, dass in der Versorgung der schweizerischen Bevölkerung der Preis keine Rolle spielt. Ebenso falsch wäre die pauschale Behauptung, dass allein der Preis die Lösung aller Probleme sei. Auch die Aussage, dass andere Länder auch Lieferschwierigkeiten haben, der Preis also per se keine Rolle spielen könne, ist bei genauerer Betrachtung höchstens eminenz-basierte Behauptung. Zum Vergleich: Ein einzelner Schneefall im Mai lässt auch keine Rückschlüsse auf die Klimaveränderung zu.
Wird ein Gut knapp, werden die Märkte mit der höchsten Renditeaussicht bevorzugt bedient.
Ist die Nachfrage gross und das Angebot klein, dann steigt der Preis. Wird das Angebot knapp, werden jene Länder bevorzugt versorgt, in denen sich aufgrund der gegebenen Umstände noch Geld verdienen lässt: Deckt der staatlich verordnete Preis die Kosten, dann gibt es das Präparat. Genau das sehen wir im Moment mit einfachen Substanzen wie beispielsweise Ibuprofen, Paracetamol oder Amoxicillin.

1 Socal M.P., Ahn K., Greene J.A., Anderson G.F. (2023) Competition and vulnerabilities in the global supply chain for US Generic Active Pharmaceutical Ingredients, Health Affairs, 42; 3 

In der Schweiz war die Versorgung mit Paracetamol-Sirup kaum eingeschränkt, während Länder wie Frankreich oder Deutschland grosse Probleme hatten. Beim Amoxicillin war der weltweite Bedarf so gross, dass auch der Preisunterschied kaum eine Rolle spielte. Beim Ibuprofen-Saft ist es ebenso. Wenn einer zur Verfügung steht, dann solch ein Sirup, der keinen administrierten Preis hat, bei dem die Preisgestaltung also frei ist.
In der Schweiz kommt eine entscheidende Komponente dazu, die das Problem verschärft: die Grösse des Marktes. Wir haben rund acht Millionen potenzielle Patienten. Je «kleiner» die Krankheit, desto weniger potenzielle Kunden gibt es für das Medikament. Das führt zu einem eingeschränkten Angebot. Viele patentfreie Originale haben in der Schweiz keine generische Alternative. Nicht weil sie wenig gebraucht würden, sondern schlicht und einfach, weil der Markt für mehrere Anbieter zu klein ist. Das gilt selbstredend auch für die verschiedenen Arzneiformen. Zäpfchen bringt man nun mal in keine Vene. Ein Wirkstoff ist noch keine Arzneiform.

Die Philosophie, dass allein die Zulassungsinhaber die Möglichkeiten der Arzneimitteltherapie bestimmen, ist zu hinterfragen.
Die bisherigen Definitionen des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) für die Einschätzung der Wichtigkeit von Arzneimitteln sind nicht geeignet, da die Problematik weit über den Auftrag via Landesversorgungsgesetz hinaus geht.
Kantone können allerdings kaum einen Beitrag zur besseren Versorgung leisten, da sie keine Möglichkeiten haben, die relevanten Rahmenbedingungen zu verändern und durchzusetzen.
Es muss endlich jemand definieren, was für die Therapie von Erkrankten wichtig ist. Oder wollen wir ernsthaft behaupten, dass es uns egal ist, wenn uns zum Beispiel Vitamin-K-Ampullen oder Parkinsonmedikamente fehlen, weil niemand mehr bereit ist, ein Präparat im Markt zu halten?
«Public-private Partnership», also die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen, ist ein möglicher Ansatz. Und der benötigt Führung durch den Bund. Deshalb braucht es zwingend eine Bundeskompetenz und ein Konzept, das die Versorgung nachhaltig stärkt.  Die adäquate Therapie von Patientinnen und Patienten darf nicht zum Spielball zwischen Behörden und Industrie werden und via Abladen der Verantwortung allein an die Leistungserbringenden delegiert werden. Was die Behörden bisher gemacht haben, ist einzig Symptombekämpfung. Und auch die erst, als die Situation zu eskalieren drohte.

Lieferengpässe – Staat oder Nicht-Staat oder wieviel Staat ?

Lieferengpässe sind ein aufgebauschtes Thema der Pharmaindustrie zum Durchbringen höherer Preise, sagen gewisse Kreise. Sie sind der Meinung, dass das Problem nicht gravierend sei und die Wirtschaft noch immer kreative Lösungen gefunden habe. Zur Untermauerung ihrer These wird das ganz aktuelle Beispiel der Versorgung mit Methadon beigezogen. Dies sei das Paradebeispiel dafür, dass die Wirtschaft die Probleme alleine lösen könne. Sehr oberflächlich betrachtet könne man tatsächlich zu diesem Schluss kommen.

Doch stimmt das wirklich ? Hält die Aussage einem Faktencheck überhaupt Stand ?

Methadon steht auf der Liste der meldepflichtigen Arzneimittel des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung BWL. Methadonpräparate unterstehen auch der Pflichtlagerhaltung.
Soweit so gut. Mit der Sistierung der Bewilligungen der Amino AG durften dort Methadon-Präparate weder hergestellt noch ab der Firma ausgeliefert werden. Es durften nur noch jene Präparate verwendet werden, die bereits im Markt waren, das heisst in den Lagern der Grossisten, Apotheken und selbstdispensierenden Ärzte. Dass dies möglich war, bedurfte einer ersten Absprache von Bundesstellen (Swissmedic und BWL).
Da der Zulassungsinhaberin die Bewilligung sistiert wurde, war auch das Pflichtlager blockiert. Die Pflichtlagerware durfte nicht ausgeliefert werden.
Da es sich bei Methadon um eine Substanz handelt, die auf der BWL-Liste verzeichnet ist, konnte das BWL aktiv werden. Sie hat einen Hersteller gesucht, der bereit war, die höheren Dosen von Methadon im Lohnauftrag herzustellen. Die Lohnauftraggeber waren in diesem Fall Apotheken, Lohnauftragnehmer war die Firma Streuli.
So einfach möchte man meinen. Effektiv hat’s einige Verhandlungen und Überzeugungsarbeit durch das BWL gebraucht bis das funktioniert hat. Gleichzeitig hat Swissmedic die Grenzen der gemäss Gesetz und Verordnungen vorgegebenen Regelungen sehr stark ausgereizt und mit dazu beigetragen, dass die Versorgung möglich blieb. Ein kurzfristiger Import war in diesem Mengen nicht möglich, da es sich beim Methadon um ein Betäubungsmittel handelt. Der Staat hat also auf allen Ebenen interveniert.
Die „kreative Lösung der Wirtschaft“ hat darin bestanden, dass eine Firma da war, die das überhaupt konnte, die bereit war kurzfristig Kapazitäten zur Verfügung zu stellen und einen Deal abzuschliessen. Dass das alles ging, beanspruchte mehrere staatliche Institutionen.
Ein klassisches Public-Private-Partnership. Mit Koordination durch den Staat.
Die „Wirtschaft“ hat geholfen das Problem zu lösen, der Staat hat koordiniert.
Und von den Krankenkassen habe ich hier noch gar nicht gesprochen.

Dann ist ja alles ok, es hat ja funktioniert möchte man sagen.
Das Beispiel spielt sich im Bereich Symptombekämpfung beim Auftreten eines Lieferengpasses ab. Da wurden – ebenfalls durch den Staat – diverse Massnahmen getroffen, die uns darin unterstützen mit dem bereits bestehenden Problem überhaupt einigermassen umgehen zu können. Das funktioniert für Substanzen, die beim BWL gelistet sind. Bei solchen die es nicht sind, läuft’s dann eben nicht so. Da wären die Kantone in der Pflicht gemäss Bundesverfassung. Und genau hier liegt die Crux in der Sache. Wie gross der Anteil der Lieferengpässe der beim BWL gelisteten Medikamente ist, ist auf der hier verlinkten Grafik zu sehen. Nota bene: Drugshortage.ch sammelt nur Daten von verschreibungspflichtigen Präparaten und solchen, die von den Krankenkassen bezahlt werden. 80% der Meldungen stammen von den Firmen selber.

Wie bereits beschreiben: es sind Massnahmen zur Symptombekämpfung bei eigetretenen „Versorgungsstörungen“.
Das grundlegende Problem ist damit jedoch nicht angegangen. Nämlich jenes, dass heute viele Präparate insbesondere von Randformen ganz vom Markt verschwinden oder in der Produktion hinten an gestellt werden. ich werde mich dazu in einer der nächsten Nummern der Ärztezeitung äussern. Sobald der Artikel draussen ist, werde ich ihn hier verlinken.

Dann kam die Idee auf Labels zu verteilen für zuverlässige Firmen oder für Firmen, die mehrere Wirkstofflieferanten im Hintergrund haben. Das ist ja schön und gut, jedoch auch nicht wirklich zu Ende gedacht. Was macht eine Firma, wenn sie zu den Labelträgern gehören will und Präparate auf dem Markt hat, bei denen sie nicht in der Lage ist eine zuverlässige Lieferkette zu installieren? Es ist einfacher das Produkt ganz zu eliminieren und sich dieser Last zu entledigen. Und schon verlieren wir noch mehr Medikamente, unabhängig von ihrem therapeutischen Stellenwert.
Oder man verteilt Labels für Firmen, deren Präparate mindestens zwei Lieferanten im Hintergrund haben. Das ist an sich ein guter Weg, den man unbedingt verfolgen müsste. Es gibt dabei jedoch mehrere Probleme: Diese Massnahme wirkt im besten Fall langfristig und müsste auf mehrere Grundvoraussetzungen zurückgreifen, die heute nicht gegeben sind. Diese Grundvoraussetzungen brauchen – richtig – wieder den Staat.
D.h. es müsste Transparenz geschaffen werden. Das ist heute nicht gegeben. Die Behörde weiss zwar, welche Hersteller dem Präparat zugeordnet sind. Sie hat von den Marktanteilen jedoch keine Ahnung. Und für’s Publikum sind die Daten nicht transparent einsehbar. Wir wissen fast bei jedem Liter Milch den Namen der Kuh. Bei den Medikamenten ist es nicht so. Wir wissen nichts von den Herstellern und können so auch keine Risikoabschätzung eines Lieferausfalls machen. Transparenz wird international gefordert.
Sollte dann jemand so ein Label kriegen, der zwar zwei Hersteller nachweisen kann, einer davon jedoch einen Anteil von maximal 1% hat und der andere die 99%. Dann nützt die ganze Massnahme nichts. Und wie genau würde man jetzt eine taugliche Lösung ohne den Staat hinkriegen ? Und bezieht sich das dann allein auf die Wirkstoffe ? Aktuell haben wir einige Beispiele von Medikamenten, die nicht geliefert werden können, weil Packmittel fehlen. Und so gibt’s von einem Schmerzmittel zwei Zulassungen – eins mit der nicht mehr lieferbaren eckigen Büchse und das andere mit der jetzt verfügbaren runden Büchse.

Ich bin damit einverstanden, dass der Staat nicht operativ einwirken sollte oder nur dann wenn gar nichts mehr geht (steht übrigens in der Versorgungsinitiative genau so drin).
Es braucht jedoch eine Instanz, die koordiniert. Das was wir bis jetzt haben ist ganz eindeutig zu wenig, insbesondere sind die Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen nicht geklärt, respektive so, dass jene, die eigentlich verantwortlich wären (die Kantone) nichts tun können, weil die Rahmenbedingungen andernorts definiert werden – nämlich beim Bund.
Das hält im Übrigen auch der Bericht des Bundesrates zur Versorgung (2022) fest (Seiten 29, 34, 60). Den Meisten ist klar: Es braucht eine Bundeskompetenz.

Den Staat aussen vor zu lassen ist in diesem extrem stark regulierten Umfeld schlicht nicht realistisch. Ich selber habe vor rund drei Jahren diverse Vorschläge gemacht. Ein Teil davon wurde auch umgesetzt. Ein Teil davon wurde bereits in der Taskforce diskutiert. Das ist allerdings noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Es braucht viel mehr. Es geht unter anderen auch um Themen wie CEP der EDQM, MOQ, Onshoring, Internationale Koordination etc. etc.; Sehr vieles bewegt sich ausserhalb von Preisdiskussionen.

Die Taskforce hat ihre Arbeiten abgeschlossen. Der Bericht wird im Moment erstellt und sollte in den nächsten Monaten präsentiert werden. Viele der Mitglieder des Initiativkomitees der Versorgungsinitiative haben sich dort aktiv eingebracht und an den Vorschlägen mitgearbeitet. Das BAG hat hier zusammen mit dem BWL einen sehr guten Job gemacht und die Diskussionen wurden in allen Teilen sehr professionell geführt. Alles ist auf den Tisch gekommen und wurde konstruktiv diskutiert. Alle – Vertreter der Industrieverbände, der Ärzte- und Apothekerverbände, der Grossisten, die Vertreterin der Patientinnen, der Vertreter des einen Krankenkassenverbandes und die Vertreter der verschiedenen Behörden – haben zu einem sehr differenzierten Bild beigetragen. Die Mitglieder des Initiativkomitees sind überzeugt, dass die Initiative den anschliessenden parlamentarischen Prozess unterstützt. Die Offenheit für bessere Vorschläge ist da. Der Bericht der Taskforce wird die Basis dafür legen. Die Initiative den notwendigen Druck, damit die Vorschläge der Taskforce dann auch tatsächlich umgesetzt werden und der Boden gelegt wird, die Bundeskompetenz in der Verfassung zu verankern.

Wenn man das Umfeld a fond kennt, dann lässt sich sogar glaubwürdig über gezielte Preissenkungen diskutieren, da bin ich durchaus bereit mich daran zu beteiligen. Das habe ich in meinem oben verlinkten offenen Brief auch aufgezeigt. Es gibt Medikamente, die viel zu teuer sind – sogar im günstigen Bereich.
Preissenkungsdiskussionen laufen heute extrem undifferenziert. Bei jeder Preissenkungsdiskussion braucht es jedoch eine klare Idee darüber, welche Auswirkungen sie auf die Versorgung hat. Das was wir heute tun ist bezüglich der Versorgung konzeptlos. Hauptsache Preise werden gesenkt. Dagegen wehre ich mich. Ein Konzept würde sogar eine einfachere Verhandlungsposition nach sich ziehen. Das ist eben dann etwas komplexer.
Zum Schluss noch der Hinweis auf meine Kolumne in Medinside vom 7.1.2023 daran hat sich – mindestens bis jetzt – nichts geändert.






Viktor Award 2022 – Hoch und Tief an einem Tag

Ich bin überwältigt und glücklich über den Gewinn des Preises als «Herausragendste Persönlichkeit im Gesundheitswesen» im Jahr 2022. Ich gehe für einmal nicht davon aus, dass das Wort «herausragend» sich auf meine Körpergrösse bezieht.

Ich sehe es als Anerkennung meiner Arbeit rund um die gute Versorgung von Patientinnen und Patienten mit der bestmöglichen Therapie und meiner Arbeit rund um die Patientinnensicherheit bei der Medikation an.
Es ist eine grossartige Anerkennung, die mir extrem gutgetan hat!  Ich danke allen, die mich beim Publikumsvoting unterstützt haben und ich danke der Jury, die mich auf den ersten Platz gestellt hat.
Es ist nicht nur eine Anerkennung für mich, sondern für alle Apothekerinnen und Apotheker und ihre Teams wie auch die Ärztinnen und Ärzte und die Pflegenden, die sich tagtäglich mit dem Thema der Lieferengpässe und deren Folgen auseinandersetzen müssen.

Über 20 Jahre beschäftige ich mit diesem Themenkreis. Zuerst war es das im Jahr 2002 in Kraft getretene Heilmittelgesetz und vor allem dessen Interpretation durch die Gerichte, das uns vollständig dem Willen der Industrie auslieferte. Was nicht in der geeigneten Form verfügbar war, haben wir früher herstellen lassen. Was nicht lieferbar war, hatten wir damals schon importiert. Das war plötzlich nicht mehr möglich oder wurde mit sehr viel Bürokratie verschärft. Im Jahr 2004 wurden wir endlich angehört und haben anschliessend zusammen mit Kolleginnen und Kollegen für eine gute Lösung gekämpft und auch an dieser mitgearbeitet.
Das ging letztendlich nur deshalb, weil wir die Industrie – allen voran damals den Verantwortlichen von Science Industries Dr. Dieter Grauer für uns gewinnen konnten. Der Widerstand der Industrie war so gebrochen. Ich mag mich gut daran erinnern, dass ich im Jahr 2006 mit einer Tüte voll «illegalen» Medikamenten in der SGK-S unter der Leitung von Ständerat Urs Schwaller aufgetaucht bin und die Problematik aufgezeigt habe – mit praktischen Beispielen.
2008 schlussendlich hatten wir es geschafft. Das Heilmittelgesetz wurde mit Blick auf die gute Versorgung revidiert. Wir hatten die Flexibilität wieder unter klaren Bedingungen. Nota bene: ohne diese Flexibilität hätten wir spätestens während der Pandemie grosse Probleme in der Versorgung gehabt. Und gerade jetzt wären wir auch bezüglich der Herstellung von Ibuprofen-Fiebersäften chancenlos gewesen. «Er lehrte das Heilmittelinstitut Swissmedic das Fürchten» hiess damals die Schlagzeile im Tagesanzeiger.
Richtig : durch diese Arbeit bin ich «maniac» im Thema Versorgung geworden. Wadenbeisser würde man sagen. So richtig penetrant. Das können einige «leidtragende» bei den Behörden und bei der Industrie bestätigen. So ein richtiger Oberländer Dickschädel (entgegen der landläufigen Meinung geht der Dickschädel nicht (immer) zu Lasten des Inhaltes ..).
Ich habe mich stets bemüht sehr differenziert zu argumentieren, weshalb ich sehr oft auf offene Türen und zum Teil sogar auf offene Ohren stiess.

Damals betraf das Problem der Lieferengpässe primär die Spitalpräparate. Der ambulante Bereich war auch damals schon betroffen insbesondere bei den Kinderarzneimitteln. Das wollte schon damals niemand hören. Verschiedene Formen standen schon damals nicht zur Verfügung.

Ab ca. 2012 war zunehmend der ambulante Bereich betroffen. Wiederum mit Kollegen wurden wir damals noch einmal beim BAG vorstellig. Problematik war schon damals, dass die Verfassung dem Bund sehr enge Schranken setzte. Denn für die Versorgung sind primär die Kantone zuständig. Das ist in der Schweiz das eigentliche Grundübel. Es ist niemand wirklich zuständig.
Aufgrund dieser Gespräche wurde dann im Jahr 2015 die Meldeplattform des BWL eingerichtet. Natürlich innerhalb des definierten Auftrages – vorgegeben durch die Verfassung und das Landesversorgungsgesetz – in einem eng definierten Rahmen der «lebenswichtigen» Medikamente. Genau das hat später zu sehr vielen Missverständnissen geführt, da alle meinte, diese Meldeplattform erfasse alle verschreibungspflichtigen Medikamente. Was sie eben nicht tut.
Genau das ist der Grund weshalb ich 2015 mit der Plattform Drugshortage.ch begonnen habe.
In einer Nacht des Ärgers als wir wieder einmal mit einer Nichtlieferung konfrontiert waren und dann später erfahren mussten, dass das Medikament über mehrere Wochen nicht lieferbar war, habe ich den Entschluss gefasst zu handeln und die Lage zu dokumentieren. Gerade weil die Meldeplattform des BWL auftragsgemäss Vieles nicht auflisten konnte.
Apotheker provoziert Pharmabranche hiess damals die Schlagzeile im Tagesanzeiger. Prompt wurde ich von einer Firma mit rechtlichen Schritten bedroht, wenn ich nicht sofort aufhöre damit. Auch kartellrechtliche Argumente wurden vorgebraucht, was mich an sich darin bestärkte erst recht weiter zu machen. Die Firmen dürfen ja nicht miteinander sprechen und haben keine Chance zu sehen, weshalb ihre Verbräuche nun plötzlich steigen.
Ein guter Freund sagte mir, dass kaum etwas zu fürchten sei, da das öffentliche Interesse höher zu gewichten sei. Ich solle jedoch vorsorgen und eine GmbH gründen, was ich dann auch zusammen mit meiner Frau gemacht habe. Zwei Firmen konnte ich gewinnen (Mepha und GSK), die ihre Daten selber eingaben. Weitere kamen dazu. Der Deal war, dass ich die Konkurrenzdaten einmal pro Woche nachpflege. Seither pflege ich Woche für Woche in meiner Freizeit die Daten jener Firmen, die ihre Daten nicht selber eingeben – auch in den Ferien und auch über Feiertage. Mittlerweile seit bald 8 Jahren. Der Unkostenbeitrag (sichtbar auf der Webseite) deckt gerade die Kosten. Einige haben gedacht, dass sei ein „passagerer Furz“ und der Oberländer höre dann mal von selber auf. Falsch gedacht…..
Heute stammen rund 80% der Meldungen von Lieferengpässen direkt von den rund 40 meldenden Firmen. Und immer noch werde ich ab und zu mit rechtlichen Schritten bedroht. Und auch immer wieder wird die Frage gestellt, ob ich irgend ein Mandat haben würde. Habe ich explizit nicht. Völlig crazy – aber es ist mir extrem wohl dabei.
Während der Pandemie habe ich kurzfristig für den Bund im Hintergrund der Webseite eine Meldeplattform aufgebaut. Dort haben die Spitäler während fast zweier Jahre wöchentlich ihre Warenbestände eingetragen – kostenlos für den Bund. Ganz bewusst. Statt Excellisten zu schicken und damit dann auf Bundesseite jemanden einen ganzen Tag pro Woche damit zu beschäftigen die Daten von rund 70 meldenden Spitälern zusammenzutragen gabs diese Angaben auf Knopfdruck.

Zwischenzeitlich kamen immer wieder Leute zu mir, die mir die Datenbank abkaufen wollten, um daraus ein kommerzielles Projekt zu machen (Der Wert der Datenbank wurde von der Uni Genf für ein Projekt einmal tief sechsstellig geschätzt). Das habe ich immer abgelehnt und werde das auch weiterhin tun. Es darf kein kommerzielles Projekt sein. Für wissenschaftliche Arbeiten stehen die Daten kostenlos zur Verfügung. So läuft aktuell ein Projekt am Unispital Genf (Yassine Dhif), das die Datenbank zusammen mit internen Daten und dem Einsatz künstlicher Intelligenz für Vorhersagen braucht. Früher war’s für ein Projekt der Fachhochschule Bern (Stefan Grösser) oder der Universitäten Basel und Duisburg/Essen (Katharina E. Blankart und Stefan Felder).

Ich habe immer gesagt: ich höre dann mit der Datenbank auf, wenn die Meldepflicht für alle verschreibungspflichtigen Produkte eingeführt ist. Oder bei meiner Pensionierung. Je nachdem was früher eintritt. Ich habe also noch Zeit. Allerdings weiss ich nicht, ob beim aktuellen Tempo meine Donnerstagabende bald völlig frei von Arbeit werden.

Klar wird die Datenbank mittlerweile auch gebraucht, um politisch zu argumentieren. Das soll auch so sein. Im Sinne der Versorgungssicherheit. Und klar kann man das auch missbrauchen.
Dadurch erwächst mir der Vorwurf der Industrienähe.
Dieser Vorwurf ist schon deshalb sehr speziell, weil ich früher für viele in der Industrie als potentieller Feind angesehen wurde. Verändert habe ich nichts. Ich habe ein klares Ziel, die Verbesserung der Versorgung. Und alles was dazu führt, dass sich die Versorgung potentiell verschlechtert, bekämpfe ich.
So habe ich bei der Debatte rund ums Referenzpreissystem immer gesagt, dass wenn man ein solches einführen wolle, dann müssten die Rahmenbedingungen zur Sicherstellung der Versorgung stimmen. Die Versorgung kommt zuerst. Regelt man das nicht, dann wird man immer wieder mit dem Thema konfrontiert und jede Preisverhandlung und jeder Preissenkungsversuch wird immer mit der Drohung der Verschlechterung der Versorgung abgetan. Aus dieser Spirale kommen kann man nur, wenn man hier klare Bedingungen für den Erhalt der Versorgung schafft. Ich habe damals, als es um die Debatte um einen Vorstoss meines ehemaligen Parteikollegen Hess ging, allen Nationalrätinnen und Nationalräten einen offenen Brief dazu geschrieben und konkrete Massnahmen vorgeschlagen. Dies hat mich auch zur Erkenntnis gebracht, dass ich politisch ungebunden sein muss, damit ich keine Rücksicht nehmen muss und habe meine 10-jährige politische „Karriere“ mit dem Austritt aus der Partei abgeschlossen. Nicht im Ärger, sondern um frei von parteipolitischen Rücksichtnahmen zu sein.
Ich habe über all diese Jahre mit vielen National- und Ständerätinnen über die Thematik diskutiert und für sie auch Vorstösse geschrieben. So unter anderen für Paul Günther, Simonetta Sommaruga, Bea Heim und Ruth Humbel – was mein Wadenbeisserimage natürlich weiter gefördert hat.
Seit meinem offenen Brief vom Oktober 2020 ist praktisch nichts gegangen. Etwas ist konstant geblieben: Wir haben weitere Medikamente verloren (die machen mir noch fast mehr zu schaffen als jene, die nicht lieferbar sind) – gerade auch in der Kinder- und Palliativmedizin – und es fühlt sich nach wie vor niemand verantwortlich.
Auch das hat mich geärgert. Ich habe diesem Ärger in einem Blog Luft gemacht als ein zwar selten gebrauchtes, aber dennoch wichtiges Herzmedikament verschwunden ist und habe mal die Konsequenzen für uns Leistungserbringerinnen dargestellt.
Mein Blog ist meine Psychohygiene. Dort wird auch mal etwas härter formuliert. So ärgert es mich besonders, wenn wir Leistungserbringer die Thematik im Prinzip alleine lösen müssen und dafür noch die Kappe gewaschen kriegen.  Auch das habe ich in einem Blog beschrieben. Und auf das hat dann letztendlich das BAG reagiert und über Weihnacht/Neujahr 22/23 neue Regeln zur Abrechnung von Importen und Herstellungen erlassen. Die haben dann allerdings leider mehr Fragen als Antworten offengelassen. Und es gab leider auch Krankenkassen, die die Bürokratie damit ins unermessliche trieben und immer noch treiben. Oder sich dann in schlichter Polemik üben und dem Thema eher schaden als nützen. So wie gerade jetzt im Blick, der titelt, dass sich die Apothekerinnen und Apotheker im Thema bereichern würden. Das ist derart völliger Blödsinn. Aber leider eben üblich. Und auch die können nicht wirklich rechnen. Von der Seite des einen Verbands bin ich solche unqualifizierten und diffamierenden Attacken leider gewohnt.

Genau das führt mich zum Tiefpunkt an diesem Freudentag
Hintergrund ist ein persönlicher Angriff auf meine Person, der typisch aufzeigt, wo das Thema der Lieferengpässe in einigen Köpfen nach wie vor ist: Was nicht sein darf, das ist nicht und basta. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Verbündeter der Pharmaindustrie.
Deshalb hat mich dieser Preis – gerade an diesem Tag – besonders gefreut.

Der Post in einem Krankenkassenverbands-Newsletter und auf Linkedin hatte zum Ziel meine Glaubwürdigkeit zu unterwandern, indem mir vorgeworfen wurde, ich würde vor allem via soziale Medien nur Polemisieren mich undifferenziert äussern und indirekt die Angst von Patientinnen und Patienten für Eigeninteressen missbrauchen. Dieser Teil des Angriffs hat mich besonders getroffen. Eigeninteresse ? Als fest angestellter Apotheker mit fixem Lohn, der in keiner Weise vom Medikamentenertrag abhängt – und insbesondere dessen Aufgabe im Spital es ist, günstig einzukaufen und eben auch die Versorgung sicherzustellen.
Dabei wurde behauptet es würden aktuell lediglich acht Wirkstoffe fehlen. Freilich wurde dabei übersehen, dass es um die neulich publizierten Wirkstoffe mit Teilabgabe handelt (es macht ja kaum Sinn Teilabgaben bei chronischen Therapien oder Spitalpräparaten zu machen).
Auch freilich wurde übersehen, dass es schon alleine auf der Webseite des BWL (die zur Untermauerung der Aussage verlinkt wurde) eine zweite Liste hat mit deutlich mehr Wirkstoffen mit Versorgungsstörungen und auch freilich wurde übersehen, dass auch das BWL nur einen geringen Teil der aktuellen Lieferengpässe von verschreibungspflichtigen Präparaten auflistet.
Dieser Post hat mich auch getroffen, weil er von einer Person stammte, in die ich bisher grosses Vertrauen hatte. Das hat mich auf der persönlichen Ebene enttäuscht.
Dass er mich als Zielscheibe hatte, mit dem kann ich an sich umgehen. Ich hatte während meiner Zeit als Politiker schlimmere Angriffe zu ertragen. Dieser Post hat jedoch eine ganze Branche diffamiert. Die Pflegerinnen und Pfleger, die Apothekerinnen und Apotheker wie auch die Ärztinnen und Ärzte, die tagtäglich mit der aktuellen Krise – ja es ist eine Krise! – umgehen müssen.

Es fehlen aktuell eben nicht nur 8 Wirkstoffe. Auch wenn man mit den Begriffen «Lieferengpass» und «Versorgungsengpass» zu spielen versucht ist die Zahl 8 weit von der aktuellen Situation entfernt. Nimmt man das Wort Versorgungsengpass, darf man klar sein : Es fehlen Stand 2. April 2023 bei 178 Wirkstoffen in bestimmten Dosierungen und Formen alle Präparate von allen Herstellern. Davon sind deren 16 auf der BWL und deren 58 auf der WHO List of essential drugs verzeichnet. Insgesamt sind 1030 Medikamente gerade nicht lieferbar.

Den Hintergrund des Angriffs kann ich sogar nachvollziehen:  Die Initiative zur Versorgungssicherheit. Pharmasuisse, der Schweizerische Apothekerverband ist meinem Rat gefolgt und macht dort mit. Das war der Stein des Anstosses.
Im Vorfeld wurde – ohne Kenntnis des Initiativtextes – von einigen Medien viel von der Pharmaindustrie-Initiative zur Erhaltung hoher Preise gesprochen. Es wurde auch von Heimatschutzinitiative gesprochen.
Klar ist: Wenn ich irgendwo mitmache und mit meinem Namen an vorderster Front hinstehe, dann pflege ich mir genau zu überlegen für was genau, insbesondere dann, wenn ich meinen Berufsstand (Pharmasuisse und GSASA) da mit rein ziehe.
Bei den Diskussionen rund um die Verfassung dieses Textes habe ich meine Bedingungen immer klar gemacht: Bei einer Preis- und Heimatschutzinitiative mache ich nicht mit. Das ist jenen, die mich gut kennen völlig klar.  Wer mich kennt weiss genau, dass ich mich weder missbrauchen noch instrumentalisieren lasse. Ich kann unglaublich konsequent (meine Frau sagt dem stur …) sein.
Für mich ist im Zusammenhang mit der Versorgung klar: undifferenzierte Diskussionen – auch von Krankenkassen – über Arzneimittelpreise helfen hier gar nichts. Es ist genauso falsch zu sagen, dass die Erhöhung eines Preises für die Verfügbarkeit eines Medikamentes ein Allheilmittel ist, genau so wie es falsch ist, dass man diese Diskussion völlig losgelöst von Preisen führen kann. Man muss mit offenem Geist an die Sache ran. Es ist ernst genug und es eilt … zu lange hat man die Thematik verschlafen.

An der Pressekonferenz zur Versorgungsinitiative von vergangener Woche haben wir auch klar gemacht, dass jedermann/frau die bessere Vorschläge hat die Versorgung zu verbessern herzlich eingeladen ist, das in konstruktiver Weise zu tun. So wie es jetzt ist, kann’s nicht weiter gehen. Auch das haben wir bei der Vorstellung der Initiative klar festgehalten.

Deshalb trifft mich die Aussage ich würde meine Eigeninteressen vor das Allgemeinwohl stellen und undifferenziert argumentieren besonders tief.
Und deshalb habe ich anlässlich der Preisverleihung diesem Ärger auch Luft gemacht.
Der Tag war durch das positive und das negative Ereignis emotional ziemlich überladen. An Schlaf war in der folgenden Nacht nicht zu denken.
Die betreffende Person hat den Text mittlerweile geändert und der Verband hat sich via Linkedin entschuldigt. Immerhin zeugt das von Grösse und trägt hoffentlich dazu bei, dass das Thema auch bei den Krankenkassen eine etwas andere Bedeutung erhält als bisher.

Denn Medikamente können nur dann wirken, wenn sie auch verfügbar sind. Und es bringt letztendlich nichts die Günstigsten vom Markt zu drängen, damit die Teuren mehr gebraucht werden.

Unter dem Strich überwiegt natürlich die grosse Freude über die riesige Anerkennung und die gewaltigen Reaktionen darauf. Im Spital, bei Freunden und Kollegen, in den Verbänden und weit darüber hinaus kamen sehr viele und schöne Reaktionen. Dies ist für mich Lohn und Anerkennung für die Arbeit und lässt mich solche Angriffe besser verdauen. Insbesondere motiviert es mich sehr, auf diesem Weg weiterzugehen.

Die grenzenlose Unterstützung der Krankenkassen bei Lieferengpässen…….

Nachtrag vom 7.2.2023:
Wir hatten ein gutes Gespräch mit dem BAG. Dieser Punkt soll demnächst geklärt werden, so dass die Regeln allen Kassen klar sein sollten. Ich bin zuversichtlich, dass dies gut kommt ….. so die Kassen es dann entsprechend umsetzen.

Ich habe mich schon wieder ziemlich geärgert. Diesmal über verschiedene Krankenkassen, die mit bürokratischen Irrsinn glänzen.

Ich war am 3.2. an einer Veranstaltung in Lausanne von Westschweizer Offizinapothekerinnen und habe über Lieferengpässe referiert. Referat ist hier verlinkt Grossisten waren auch vertreten. RTS (für die Sendung 36.9) hat Teile davon gefilmt.

In der Diskussion kamen aktuelle Dinge rund um den Umgang mit Lieferengpässen zur Sprache. Dabei war die Stimmung vis a vis von Krankenkassen gelinde gesagt etwas explosiv.

Gopferteli ist das abartig mühsam bis ihr begreift, dass das absoluter Stumpfsinn ist !!!!!!

Die Situation ist ja schon schwierig genug. Jetzt erhalten wir reihenweise Rückweisungen oder Nachfragen. Im Moment eskaliert das gerade.
Fast alle Nachfragen wollen von uns Beweise, dass ein bestimmtes Produkt an einem bestimmten Tag grad nicht lieferbar war. Ansonsten bezahlen sie das importierte Produkt nicht.
Das nachzuweisen wäre ja noch das eine.
Sie wollen jetzt tatsächlich, dass wir beweisen, dass wir am Tag der Abgabe bei sämtlichen schweizerischen Grossisten nachgefragt haben, ob wir allenfalls das Produkt noch kriegen würden. Die Grossisten müssen uns dafür Belege schicken. Auch solche, bei denen wir gar nicht Kunde sind.
Am Tag der Abgabe… das zeigt, dass ihr vom Alltag in der Apotheke wirklich absolut Null Ahnung habt und Euch auch über praktische Abläufe keinerlei Gedanken macht. Der Brief des BAG hält klar fest, dass es der Tag der Bestellung ist, so unter anderem… Oder habt ihr gedacht, dass wir aus reiner Freude in ganz Europa Waren suchen. Und das immer für jeden einzelnen Patienten. Die heissen ja Patienten, weil sie grundsätzlich ja Tage warten können. Und das alles am Tag der Abgabe tun ???

Aber sonst seit ihr wirklich noch gesund ? Was habt ihr eigentlich das Gefühl was wir den ganzen Tag machen ? Ist es wirklich noch nicht angekommen, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden und der Aufwand für uns eh schon enorm ist.
Jetzt legt ihr uns nochmal völlig blödsinnige bürokratische Hürden in den Weg.

Das zeigt einfach nur, dass ihr „lieben“ Krankenkassen weder praktisch denken könnt, noch dass ihr in Euren Büros versteht, was jetzt gerade abgeht. Etwas Verständnis ist nicht Euer Ding. Danke für das ! Das nimmt jetzt wirklich schon fast paranoide Züge an.

Jede zweite Rezepteinlösung hat irgend ein Problem und irgend ein Produkt, dass wir kurzfristig besorgen müssen. Und ja, es kommt auch vor, dass wir die an Lager legen, weil gewisse Therapien nun mal nicht warten können und wir die Patientinnen und Patienten sofort versorgen müssen. Machen wir alles zur eigenen Freude… Und wenn dann das Produkt am Tag der Abgabe grad wieder lieferbar wäre, dann schauen wir in die Röhre. So macht’s wirklich Spass. Wir fühlen uns von Euch getragen in der schwierigen Situation.
Das heisst, dass wir nun auch noch das volle Risiko tragen dürfen, weil wir sicherstellen wollen, dass z.B. eine antibiotische Therapie sofort beginnen kann. Habt ihr das Gefühl, dass sich die Versorgungslage nach Eurer Idee irgendwie verbessern würde ?

Eine Apotheke hat einen, maximal zwei Grossisten bei denen sie regelmässig bestellt und direkter Kunde ist. Selbstverständlich wird dort zuerst geschaut bevor importiert wird. Der Import ist übrigens gesetzlich geregelt und darf nur in bestimmten Situationen (eben bei Lieferengpässen) für eine/n bestimmte/n Patient/in erfolgen. Alles klar geregelt.
Und jetzt gehen bestimmte Krankenkassen noch einen Schritt weiter und verlangen, dass der Lieferengpass von jedem Grossisten einzeln schriftlich bestätigt wird. Auch von jenen, bei denen man gar nicht Kunde ist. Super. Wir haben ja sonst jetzt grad gar nichts zu tun !
Stellt Euch mal den Aufwand für die Grossisten, für uns und für Euch selber vor !!

Es fehlt jetzt noch, dass ihr von uns verlangt, dass wir in ganz Europa den günstigsten Preis suchen oder ihr nur den bezahlt. So wie es übrigens das BAG in der Vernehmlassung zur KVV/KLV Verordnung vorgeschlagen hat. Toll.

Also liebe Krankenkassen : wir machen gerne einen Printscreen der Grossistenmeldung, dass das Produkt nicht lieferbar ist, wenn wir es im Ausland bestellen. Oder eine Abfrage auf Drugshortage.ch, die ihr übrigens selber machen könntet … (ich habe dazu extra eine Abfrage für die vergangenen Lieferengpässe programmiert; gratis für Euch…) oder ein Printscreen der BWL Meldung (kommt aber jetzt nicht auf die Idee, dass wenn es in der BWL Liste nicht ist, dass ihr nicht zahlt. Ihr zeigt dann einzig noch einmal, dass ihr gar nichts versteht ..).
Weiter kann es nicht gehen. Etwas Vertrauen und Verständnis für die versch… Situation ginge ja auch.

Ziel ist es, die Medikamente so rasch wie möglich zu den Patientinnen und Patienten zu bringen. Jetzt geht ihr ca. 50 Schritte zu weit mit Euren sehr schlauen Ideen !

Ach ja, stimmt. Die eine Chefin hat ja gesagt, wie man das machen könnte. Würde aktuell übrigens grad extrem viel helfen….. das war damals schon ziemlich unseriös (Ende 2018; damals bereits über 500 fehlende Produkte) und ist es heute noch umsomehr, aber jetzt ganz offensichtlich Link auf den Videoausschnitt (Santémedia)


Die grenzenlose Unterstützung des BAG bei Lieferengpässen …….

Im Nachgang zum hier unten geschriebenen Blogeintrag hatte ich ein längeres Telefongespräch mit einer verantwortlichen Person beim BAG. Sie haben meinen „Anfall“ verstanden und suchen eine pragmatische Lösung im Rahmen des gesetzten Rechtsrahmens. Untenstehend was meinen Ärger ausgelöst hat. (Text in kursiv hier nachträglich eingefügt) Ich hoffe, dass bald möglichst eine pragmatische Lösung gefunden wird
Am 7.2. hat die entsprechende Sitzung stattgefunden, ich bin zuversichtlich, dass es gut kommt.

Es ist zum wahnsinnig werden….

Gestern am 1. Februar hat der Bundesrat die Versorgung mit Heilmitteln als „problematisch“ eingestuft. Insbesondere fehlen Antibiotika für Kinder.
Anfang Januar hatte das BAG mitgeteilt, dass die Apotheken nun Herstellungen solcher Arzneimittel abrechnen können. Dieser Entscheid hat uns erfreut, war das doch bei einigen Krankenkassen ein grosses Problem.
Wir haben das so zur Kenntnis genommen und entsprechend positiv kommentiert. Allerdings hatten wir damals noch ein paar Fragen, die mit dem Rundschreiben des BAG an die Krankenkassen nicht geklärt waren.
Es ging um die Regeln der Vergütung von importierten Arzneimitteln und es ging darum, ob man auch die Substanz der entsprechenden Arzneimittel kaufen dürfe und nicht zwingend Tabletten zerbröseln müsste.

Die Freude über den BAG Entscheid hat sich gestern und heute in Ärger verwandelt. Wir sind zurück auf Feld 0 – d.h. nicht mal auf Feld 1.
Eine Apothekerin hatte selber direkt beim BAG angefragt, weil sie einen konkreten Fall eines Importmedikamentes bei einem Lieferengpass hatte, das von der Krankenkasse zurückgewiesen wurde.
Antwort des BAG : es müsse ein Kostengutsprachegesuch eingeholt werden.

Ich habe dann nochmal nachgefragt, ob das wirklich ihr Ernst sei. Bei fast 1000 Arzneimitteln die fehlen, nebst dem riesigen Abklärungsaufwand zur korrekten Fortführung der Therapie ein Kostengutsprachegesuch stellen zu müssen.
Die Antwort : man habe Verständnis für die Situation, man solle doch einfach jedesmal bei der Krankenkasse nachfragen, ob sie zahlen würden….

Wenn die Antwort aufgrund der Rechtslage an eine einzelne Apothekerin geht, ist das ja noch eins. Wenn die gleiche Antwort aufgrund der Rechtslage an eine Krankenkasse gegeben wird, dann wird’s sehr schwierig.

Einfach mal praktisch durchgeturnt :
Eine Mutter kommt mit einem schreienden Kleinkind und einem Rezept für Amoxicillin Sirup in die Apotheke. Die Apotheke hat sich ein Importprodukt besorgt für die kurzfristige Hilfe.  Das heisst man müsste jetzt die Versicherung anrufen und sich durchtelefonieren, bis man jemanden hat, der Auskunft darüber erteilt, ob das Medikament nun bezahlt wird. Ist der Entscheid negativ, müsste man ein Kostengutsprachegesuch beim Arzt anfordern, das dann mit einer Reaktionszeit von 2 Tagen bearbeitet werden müsste. Gibt man das Medikament vorher, zahlt die Kasse die Therapie so oder so nicht.
Die Konsequenz : die Eltern zahlen selber.
Oder die Apotheke stellt die Rechnung trotzdem an die Kasse und riskiert auf den Kosten sitzen zu bleiben.
Tolles Gefühl für die Apotheke…. man hilft uns muss sich dann die Kappe waschen lassen…

Jetzt fehlt gerade noch der bisher leider auch ungeklärte Punkt, ob wir nun auch die Substanzen der nicht erhältlichen SL Produkte brauchen können statt das eben nicht erhältliche Produkt als Grundlage für die Herstellung wenn die Substanz nicht in der ALT ist. Dazu haben wir bisher kein Statement und hören bereits von Rückweisungen. 

Amoxicillin und Ibuprofen sind nicht in der ALT…..

Zur Erklärung ALT :
Das ist der Tarif, der die Vergütung der Herstellung in den Apotheken regelt.

Das habe ich hier beschrieben : https://www.enea-martinelli.ch/ibuprofen-sirup-ist-zurzeit-schwer-erhaeltlich-und-wenn-die-apotheken-in-herstellen-wird-er-von-den-krankenkassen-nicht-bezahlt/

Es hat dort noch Substanzen drin, die seit 1972 verboten sind. Dafür Ibuprofen und Amoxicillin nicht. Der neuste Eintrag ist von 2007… 
Letzte grosse Revision 1996. 

seither ist ein eidgenössisches Heilmittelgesetz eingeführt und bereits zwei mal revidiert worden.  HMG seit 2002; 1. Revision 2010. 2. Revision 2018Damals hatten wir die Pharmakopoe (Arzneibuch mit den Regeln zur Qualitätssicherung)  Version 6.Jetzt haben wir Version 12…Wesentliche Kapitel wurden dort neu gefasst, insbesondere was die Herstellung betrifft.

Und die ALT wäre eigentlich ein Amtstarif. D.h. das BAG gibt sie raus.

Ich hatte mir mal den Sport gemacht Substanzen zu zählen, die nicht mehr aktuell, aber dort aufgeführt sind :

11 x Ph Helv V  ausser Kraft seit 1972
31 x Ph Helv VI ausser Kraft seit 1987
11 x Ph Helv VII ausser Kraft seit 1997
180 x Ph Helv VIII ausser Kraft seit 2002
10 x Ph Helv IX   ausser Kraft seit 2006

Und weil eben Amoxicillin und Ibuprofen nicht drin sind, mussten wir bisher Tabletten des SL-Präparates zerbröseln, damit es bezahlt wird. Wir haben die Frage gestellt, ob wir nicht auch mit der Substanz arbeiten könnten, auch wenn diese nicht explizit aufgeführt ist aber die entsprechenden Präparate in der SL sind. 

Die Antwort steht noch aus. Es wäre etwas schräg, wenn wir zur Herstellung nicht vorhandene Produkte einsetzen müssten …. aber eben : es gibt Kassen, die nur zahlen wenn wir nachweisen, dass wir ein SL-Produkt zur Herstellung verwendet haben – oder aber die Substanz eben explizit in der ALT aufgeführt ist.

Wann fällt der Groschen ?

Kolumne Medinside vom 7.1.23

Im Moment schnellen die Zahlen von Lieferengpässen nach oben. Es sind in erster Linie «alte» Medikamente für chronische Erkrankungen: zum Beispiel Medikamente gegen Epilepsie, gegen Parkinson, gegen psychiatrische Erkrankungen, Blutdrucksenker, Cholesterinsenker und ganz aktuell viele Medikamente zur Behandlung kranker Kinder. Das sind in der Regel eben nicht jene, die das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) auf seiner Liste führt, aber deshalb nicht minder wichtige.

Der deutsche Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat kurz vor Weihnachten 2022 ausgesagt, dass man das Thema Versorgung nun dringend angehen müsse. Die Lage sei so nicht mehr hinnehmbar. In Österreich, Frankreich und Italien machen die Parteien diverse Vorschläge, wie man die Situation verbessern könnte. Belgien, Holland und die skandinavischen Länder stehen punkto Lieferengpässe besser da als wir – ganz im Gegenteil. Aber sie haben Konzepte entwickelt, um die Leistungserbringer in der Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten zu unterstützen. In der Schweiz dürfen die Leistungserbringer das Problem alleine ausbaden und die Mehrkosten selber tragen. Die Schweiz ist zwar an grundsätzlichen Strategien dran, hat aber Chancen verpasst, das viel früher zu regeln. Was nicht sein darf, findet nicht statt, das war die bisherige Philosophie.

Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit diesem Thema. Dabei habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass bei uns immer der andere zuständig ist: Der Bund gibt die Verantwortung den Kantonen, weil diese gemäss Verfassung für die Gesundheitsversorgung zuständig sind. Die Kantone können nichts tun, weil der Bund die Rahmenbedingungen setzt und ja eigentlich das BWL zuständig ist. Das BWL wiederum sagt, dass primär die Wirtschaft zuständig sei uns sie nur für die gravierenden Mangellagen mit lebenswichtigen Arzneimitteln Verantwortung übernehmen. Und letztendlich macht das Bundesamt für Gesundheit (Abteilung Krankenversicherung) Verordnungsvorschläge, die aufzeigen, dass sie die Thematik überhaupt nicht verstehen. Und dann gibt’s noch die Kassen, die finden, die Industrie jammere auf hohem Niveau und man dürfe das Thema ruhig ignorieren oder man könne eh nichts tun, weil’s ein internationales Problem sei. Das lästige Thema Versorgung nach dem Prinzip Hoffnung.

Und jetzt?

Wir Leistungserbringer möchten Patientinnen und Patienten nach aktuell gängigen Erkenntnissen auf die beste Art und Weise therapieren. Dieser Satz kommt an erster Stelle. An zweiter Stelle kommt der Satz, dass das zu möglichst geringen Kosten erfolgen soll. In all den aktuell diskutierten Ansätzen zur Reform des Gesundheitswesens sehe ich fast ausschliesslich die umgekehrte Reihenfolge. Zuerst senken wir die Kosten und dann schauen wir mal, ob und was wir noch therapieren können. Dabei wird bei den Medikamenten undifferenziert bunt gemischt mit alten und neuen, hochteuren und billigen, alles im gleichen Topf. Es ist einfach zu teuer und basta. Preise sind in der Schweiz eh zu hoch. Dem Grundlegendsten wird jedoch keine Beachtung geschenkt oder auf die Hoffnung abgestellt, dass die Industrie ja dann schon mitzieht. Dass sie das eben an einem bestimmten Punkt nicht tut, kann oder nicht will, das erleben wir gerade.

Man kann sich darüber aufregen und sich erpresst fühlen. Man könnte sich auch den Realitäten stellen und Gegenkonzepte entwickeln, statt sich mit Plattitüden das Thema vom Leib zu halten. Preis ist nicht das einzige Thema, um die Versorgung zu sichern, das ist richtig. Aber es ist ein Thema, mit dem man sich beschäftigen muss. Preisdruck braucht Rahmenbedingungen und misst sich nicht am Umsatz oder an der Anzahl der Lieferanten. Leider bin ich nicht so zuversichtlich, dass wir rasch daraus lernen. Ich find’s ein Trauerspiel, welches über den Buckel der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird. Erkenntnis und klares Leadership fehlt völlig.

Der einzig richtige Ort die Führung im Thema zu übernehmen ist beim Bund und zwar von A bis Z!

Bemerkung eingefügt am 8.1.23: Wir könnten ja auch einfach die Krankheiten abschaffen, für die wir keine Medis mehr haben. Dann wäre das Problem auch gelöst…. zB Blaseninfekte beim Kind, Schmerzen in der Palliativpflege, Epilepsie, Parkinson, Panikattacken etc. DAS wäre doch ein kreativer Ansatz – oder ?

Ibuprofen-Sirup ist zurzeit schwer erhältlich. Und wenn die Apotheken ihn herstellen, wird er von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Vorbemerkung eingefügt am 8.1.2023: Das BAG hat über die Feiertage 22/23 gearbeitet und am 4.1.23 eine Lösung präsentiert, die kurzfristig hilft, dass wenigstens zum Beispiel der selbst hergestellte Sirup und die unten angesprochenen Amlodipin-Tabletten durch die Kassen übernommen werden.

Beides ist ein Armutszeugnis für das Pharma-Land Schweiz.

Der Bedarf hat sich nicht nur in der Schweiz sehr stark entwickelt. Dies insbesondere deshalb, weil Kinder während der Pandemie vor Viren durch die Masken und die Abstandsregeln geschützt waren und jetzt den Viren wieder ausgesetzt sind. Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder sind zum Teil das erste Mal damit konfrontiert und reagieren entsprechend heftig. Infektionen der Atemwege verbunden mit Fieber und Husten sind die Regel.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Bedarf an Medikamenten zur Behandlung dieser Infektionskrankheiten und deren Begleiterscheinungen steigt.
Sei es zur Bekämpfung des Fiebers oder zur Bekämpfung der Begleitinfektionen.

So sind aktuell insbesondere die Ibuprofen-Sirupe Mangelware. Auch die antibiotischen Kindersirupe sind unter Druck (Amoxicillin, Co-Amoxicillin).
Nicht nur in der Schweiz, auch im umliegenden Ausland bis hin in die USA, Kanada und Australien sind diese Sirupe Mangelware.  Alternativen gibt es nicht wirklich dazu – und wenn, dann sind auch diese Mangelware. 
Hier ein Link auf einen Kollegen aus Kanada, der seine Situation beschreibt:
Emergency supply of kids‘ meds is coming amid national shortage | CBC News

Genau für solche Situationen können die Apotheken die Alternativen selber herstellen – so wie der kanadische Kollege die „Compounding-Pharmacy“ beschreibt im Beitrag.  Ibuprofen-Sirup kann er herstellen, bei Amoxicillin respektive Co-Amoxicillin wird’s schwieriger. Was er offensichtlich nicht weiss ist der Umstand, dass dieses Problem auch Europa betrifft.

Die Substanz Ibuprofen ist zwar selber auch schwierig zu beziehen. Wir können die Sirupe jedoch über die Tabletten herstellen. Wie aufwändig das ist, kann man hier sehen:
Bei Ibuprofen-Engpass: Suspensionen aus der Rezeptur – PTAheute

Das spezielle Problem in der Schweiz:

In der Schweiz haben wir im Vergleich mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den umliegenden Ländern oder auch im Vergleich jenen in Übersee ein spezielles Problem:

Wir dürfen diesen Sirup zwar herstellen, aber die Eltern müssen ihn selber zahlen, obwohl der eben fehlende Sirup bezahlt würde. Das heisst, die Eltern müssen ein Problem ausbaden, das an sich andererorts entstanden ist.

Und das ist nicht ein Problem, das man nicht hätte vorhersehen können.
Seit über 20 Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass der Amtstarif der ALT – also der vom BAG verfügten Arzneimittelliste mit Tarif – nicht mehr aktuell sei.
Die letzte grundlegende Revision stammt aus dem Jahr 1996! Ist also über 25 Jahre her. Dazwischen wurden einzelne Positionen leicht angepasst – in der Regel die Blutbeutel – aber sonst ist nichts geschehen. Seit 1996 wurde das Heilmittelgesetz (2002) eingeführt und zwei Mal revidiert (2010 und 2018). Es gab dort genau für den Bereich der Herstellung in der Apotheke grundlegende Anpassungen, notabene unter Federführung des gleichen Amtes wie jenes, das für die Revision des Tarif zuständig wäre. So ist Ibuprofen nicht in dieser Liste aufgeführt. Zwar ist festgehalten, dass es aus Tabletten hergestellt an sich bezahlt werden sollte – viele Kassen lehnen genau das jedoch ab.

Ein Beispiel eines Medikamentes, das bei Kindern häufig gegen Bluthochdruck eingesetzt wird:
Amlodipin wird dazu nicht selten verwendet. Die Substanz ist auch nicht in der ALT aufgeführt. Und auch hier wieder dass selbe“Spiel“. Immer mehr Kassen verweigern die Zahlung, weil das BAG die Regeln nicht klärt.

Die übliche Dosierung beträgt 0.06 – 0.3 mg/kg/Dosis für Kinder von einem Monat bis 18 Jahren. Abhängig vom zu korrigierenden Bluthochdruck (Quelle: SwissPedDose – Nationale Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern aufgerufen am 16.11.2022)

Nehmen wir ein Kind mit einem Gewicht von 15 kg. Die Dosierung wäre 0.9 mg bis 4.5 mg
Die kleinste Tablette enthält 5 mg.
Jetzt versuchen Sie mal ihrem Kind 1 mg zu geben… Sie müssten die Tablette fünfteln und hätten dabei keine Gewähr, dass sie immer 1 mg drin haben. Es bessert, wenn das Kind schwerer wird… aber auch nicht wirklich …
Genau das mutet das BAG respektive die Krankenkassen den Eltern zu.
Weil das BAG den Tarif nur schleppend anpassen will, weil sich die Krankenkassen gegen die Anpassung wehren, weil wir Apotheker für jede einzeln Substanz ein Dossier mit x Seiten einreichen müssen, wenn wir die Substanz gelistet haben möchten. Dabei wäre es einfach festzulegen – wie im Ausland auch: ist eine Substanz in der SL wird das hergestellte Produkt bezahlt. Dass man nichts herstellen darf für das es eine geeignete und verfügbare Alternative gibt, ist im Heilmittelgesetz festgelegt. Dass die Mengen klein bleiben ist ebenfalls dort festgelegt. Welche Blüten das auch noch treibt habe ich hier im Fall 2 beschrieben.. https://www.enea-martinelli.ch/news-aus-der-kassenwelt-wie-man-vernuenftige-in-die-unvernunft-treibt/



In Fall des Amlodipins kommt noch eine Ironie dazu:
Der Bund hat viel Geld in die Datenbank SwissPedDose zur Harmonisierung der Kinderdosierungen investiert. Das BAG ist hier aktiv. Es wurden diverse Vorstösse zur Verbesserung der Situation bei Kinderarzneimitteln eingereicht. Es wurde schlicht vergessen, dass da die Krankenversicherung eigentlich mitziehen müsste… Ein Beispiel mehr für die Inkonsistenz zwischen den Abteilungen des BAG. Der beabsichtigte Effizienzgewinn durch die Integration der früheren Abteilung Krankenversicherung des Bundesamtes für Sozialversicherung ins Bundesamt für Gesundheit wird nicht ausgeschöpft. Gerade bei Versorgungsthemen sehen wir, dass die Abteilung nicht Hand in Hand, sondern zum Teil gegeneinander arbeiten.

Dieser Tarif wäre ja zum grossen Teil eigentlich genau für das gedacht: für spezielle Patientengruppen eine adäquate Lösung bieten zu können und bei Lieferengpässen eine Alternative zu haben.. Die Herstellung hat also nicht Selbstzweck, sondern um ein Problem zu lösen.

Einige Krankenkassen gehen heute sogar dazu über, dass sie gar keine Kinderdosierungen mehr zahlen, die nicht im Markt verfügbar sind und selbst hergestellt werden müssen. Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis!

Wir zahlen sehr hohe Preise für Medikamente gegen Krankheiten, die einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung betreffen und lassen in dieser Situation die Eltern alleine mit dem Problem.

Wenn wichtige Arzneimittel verschwinden und wer dann verantwortlich ist….

Das Medikament Digoxin wird nur noch selten verwendet – aber es wird noch verwendet und es gibt Situationen in denen es – laut Aussagen von Spezialisten – die einzige Option ist.

Digoxin wurde früher von der Firma Novartis vertrieben. Dann war deren Tochterfirma Sandoz für das Produkt verantwortlich und schliesslich wurde das Dossier an die Firma Medius übertragen.

Diese teilt nun mit, dass sie das Präparat in der Schweiz aus Kostengründen nicht mehr vertreiben werde. Es sei aus diversen Ländern importierbar.
Bereits seit Anfang Juni ist das Präparat nicht mehr lieferbar.
Konsequenz ist, dass es keine schweizerische Zulassungsinhaberin mehr gibt.

Soweit so gut, könnte man meinen. Das Präparat ist weiterhin verfügbar. Das ist jedoch maximal die halbe Wahrheit.

Für all jene Patientinnen und Patienten, die aktuell noch damit eingestellt sind, muss eine Nachfolgelösung gefunden werden, soll die Therapie mit einer anderen, in der Schweiz zugelassenen Wirksubstanz  weitergeführt werden. Das ist mit zusätzlichen Arztbesuchen verbunden und muss kurzfristig erfolgen, da Therapieunterbrüche mit diesem Präparat sofortige Konsequenzen haben können.

Für all jene Patientinnen und Patienten, die auf das Präparat weiterhin angewiesen sind, beginnt jetzt die Odyssee …

Damit das Medikament von der Krankenkasse bezahlt wird, muss ein Kostengutsprachegesuch an den vertrauensärztlichen Dienst der jeweiligen Krankenkasse eingereicht werden. Wenn die Kostengutsprache überhaupt erfolgt, dann oft mit der Aussage, dass nur jener Preis bezahlt wird mit dem das Präparat bisher in der Spezialitätenliste war. Die Differenz darf den Patientinnen und Patienten nicht in Rechnung gestellt werden. Das heisst konkret: die Differenz verbleibt beim Leistungserbringer, der das „Pech“ hat diese Patientinnen und Patienten zu versorgen. Nicht selten folgt eine Ablehnung mit dem Hinweis, dass es Alternativen gäbe, ohne diese jedoch zu nennen. Wie wenn die Antragsstellerin dies nicht schon geprüft hätte. Das Prüfen der Alternativen ist einfacher als seitenlange Gesuche zu stellen ….

In der Schweiz konnten 100 Tabletten der 0,25 mg Dosierung mit 8.80 gegenüber der Krankenkasse abgerechnet werden. Die Tabletten reichen für 3 bis 4 Monate (Tagestherapiekosten rund 10 Rappen).
Der Verkaufspreis für Lenoxin, das entsprechende deutsche Präparat beträgt 17.20 Euro.
Das entsprechende Präparat in Frankreich gibt es nur als 30 er Packung. Umgerechnet beträgt der Verkaufspreis dort 9.96 Euro (für 100 Tabletten)

Beide Produkte sind also teurer als in der Schweiz.
Es liegt auf der Hand, dass hier eine Differenz entsteht, die zudem die entstandenen Zusatzkosten (wie Kostengutsprachegesuch, Importspesen, Risiko etc.) bei weitem nicht deckt.

Es ist möglich, dass es innerhalb von Europa noch andere Länder gibt, in denen die Preise vergleichbar sind wie in der Schweiz. Nur blendet genau das gleich drei Faktoren aus:
1. Die Sprache: Patientinnen und Patienten haben den berechtigten (und gesetzlich festgelegten) Anspruch zu verstehen was auf der Packung steht. Das ist z.B. mit skandinavischen, spanischen, portugiesischen oder ost-europäischen Packungen nicht gegeben.

2. Lieferkosten: die Medikamente müssen in die Schweiz geschickt werden. Das ist auch nicht kostenlos und diese Kosten muss auch „jemand“ bezahlen. D.h. bei einer Kostengutsprache mit dem bisherigen schweizerischen Preis ist nicht mal das Porto gedeckt, geschweige denn die Kosten des Produktes.

3. Verfügbarkeit: ist es denn einfach so gegeben, dass diese Präparate im günstigsten Land innerhalb von Europa auch verfügbar sind ? Nicht selten eben auch nicht. Auch das müsste nach der Idee einiger Krankenkasse in Kauf genommen werden. Die Differenz bleibt dann beim Leistungserbringer. Wie immer.

Jetzt könnte man zum Schluss kommen, dass doch jemand das Medikament zentral in der Schweiz beschaffen und den anderen zur Verfügung stellen könnte.
Das ist theoretisch möglich, nur braucht es dann eine Zulassung für das Produkt in der Schweiz. Ist das Präparat in der Schweiz nicht zugelassen, ist es aufgrund des Heilmittelgesetzes über den Grosshandel nicht verkehrsfähig. Das heisst: jeder Leistungserbringer muss selber importieren.

Ein anderer Punkt kommt noch dazu: Da es sich um ein in der Schweiz nicht (mehr) zugelassenes Produkt handelt übernimmt jene Person, die das Medikament verschreibt und /oder abgibt die volle haftungsrechtliche Verantwortung für das Produkt. Es handelt sich nicht nur um einen off-label use, sondern es geht um die Behandlung mit einem in der Schweiz nicht (mehr) zugelassenen Produkt. Die Haftung liegt also voll und ganz bei den Leistungserbringern respektive beim Importeur. Es kann zwar im Falle eines Falles die Firma im Ausland belangt werden. Jedoch eben auch da über den Leistungserbringer. Zudem muss der Importeur sicherstellen, dass die Prinzipien der Pharmakovigilanz eingehalten werden. Das heisst, dass sichergestellt wird, dass ein Rückzug einer Charge des betreffenden Produktes im Ausland auch in der Schweiz vollzogen werden kann.
Für die Firma ist das Problem gelöst, die Verantwortung liegt bei den Leistungserbringern.

Alternativ wäre es auch möglich Kapseln in einer Apotheke herstellen zu lassen via Magistralrezeptur.
Auch hier: der Amtstarif der sogenannten „Arzneimittelliste mit Tarif“ wurde letztmals im Jahr 1996 (!) grundlegend revidiert. Mittlerweile gibt es das Heilmittelgesetz (Einführung 2002) und zwei Revisionen davon (2010 und 2018) die die Bedingungen für die Herstellung deutlich verändert haben. Diese führen zu deutlich höheren Kosten, die vom Amtstarif – notabene verfügt von der gleichen Behörde, die für die Heilmittelgesetzrevision verantwortlich ist …. – bei Weitem nicht gedeckt sind. Es wäre zwar eine Alternative, die zudem ohne Kostengutsprache funktioniert, kommt aber deutlich teurer.
Nach aktuellem Tarif berechnet käme eine Kapsel auf ca. einen Franken. Effektiv kostendeckend wäre ca. 1 Franken 50, also 15mal mehr als die Tablette bisher kostet. Noch wenn: es selber herzustellen ist wegen der geringen therapeutischen Breite und dem sehr kleinen Wirkstoffgehalt heikel. Auch hier: die volle Verantwortung für das Produkt liegt bei der herstellenden Apotheke. D.h. noch einmal wird Risiko beim Leistungserbringer deponiert und dann noch zusätzlich reklamiert, dass es zu teuer sei….

Das Beispiel zeigt verschiedene wunde Punkte im aktuellen System:

1. Das Arzneimittelsortiment in der Schweiz wird im Wesentlichen durch die Zulassungsinhaber bestimmt. Was nicht rentiert, wird eliminiert. Niemand ist verpflichtet ein unrentables Produkt im Markt zu halten. Das ist an und für sich vom Prinzip her ok. Nur gibt es eben Grenzzonen:
Präparate, die zwar relativ selten gebraucht werden, jedoch nach wie vor ihren therapeutischen Platz haben, verschwinden trotzdem vom schweizerischen Markt mit allen vorher beschriebenen Konsequenzen. Dabei geht es nicht um obsolete Präparate, sondern nicht selten um Präparate, die in international als Standard anerkannt sind. So zum Beispiel ebenfalls aktuell der Cefpodoxim Sirup, das orale Antibiotikum der 1. Wahl für Säuglinge und Kleinkinder mit febriler Harnwegsinfektion (Pyelonephritis).

Will heissen: irgendjemand muss festlegen was ein wichtiges Produkt ist. Der bisher verwendete Begriff der „Lebensnotwendigkeit“ greift deutlich zu kurz. Genau dort scheitert die bisherige Versorgungspolitik. Ganz am Anfang. Dort wo eben definiert wird, was wesentlich ist und was nicht. Und dort liegt das Hauptdilemma. Der Bund kann nur via Landesversorgungsgesetz (darum wird der Begriff lebensnotwendig gebraucht). Deshalb wären an sich die Kantone zuständig. Die haben jedoch einerseits null Problembewusstsein andererseits fühlen sie sich auch nicht zuständig. Toll …. Die heissen Kartoffeln werden seit Jahren hin und her geschoben. Leidtragende sind letztendlich Patientinnen und Patienten respektive jene, die sie eigentlich nach dem Stand der Lehre behandeln respektive versorgen sollten.

2. ein Nachfolgelieferant wird kaum zu finden sein. Er kennt das Preisniveau und muss zudem ein vollständig neues Dossier einreichen. Ohne Perspektive einer Anpassung, da es dem BAG ganz offensichtlich egal ist ob das Produkt verfügbar ist oder nicht. Und letztendlich : wer genau würde jetzt aufgrund von was genau so einen Nachfolgehersteller suchen und auf seinen grenzenlosen Idealismus setzen, damit er die Vorinvestition der Erstellung eines Registrierungsdossiers macht, dann bem BAG einen Antrag einreicht und damit potentiell auf die Nase fällt. Man könnte ja auch eine öffentliche Ausschreibung machen. Nur auch hier: wer genau für die Versorgung der Schweiz ?

3. Wenn dann mal ein solches Produkt verschwindet stehen die Leistungserbringer alleine da. Sie dürften Gesuche stellen und sind auf den Goodwill einzelner Kassen angewiesen. Sie bleiben letztendlich auch auf dem Zusatzaufwand und den Zusatzkosten sitzen. Nicht dass das Krankenkassen, Behörden inklusive Preisüberwacher nicht bekannt wäre. Seit Jahren wird darauf hingewiesen. Zumindest von meiner Seite kann ich festhalten, dass ich das seit fast 20 Jahren tue. Passieren tut gar nichts. Ganz im Gegenteil. Mit verschiedenen Massnahmen wird dazu beigetragen, dass sich die Versorgungssituation „hausgemacht“, d.h. in der Schweiz verursacht, noch zusätzlich verschlechtert. Wenn man sich von der Industrie nicht erpressen lassen will, dann braucht es nun mal ein Gegenkonzept. Und das fällt nicht vom Himmel. Da nützen Schlagworte wenig. Im Gegenteil.

Wer nach wie vor Fan holländischer Preissysteme ist und immer noch behauptet Preise hätten damit nichts zu tun, darf sich gerne mit diesem Lancet-Artikel beschäftigen:

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01421-0/fulltext

4. Die Diskussion über teure Medikamente wird im Einheitsbrei geführt. D.h. grundsätzlich ist alles zu teuer. Es wird bunt gemischt zwischen den neueren Therapien, deren Monatstherapiekosten die Grössenordnung eines Mittelklasseautos einnehmen und solchen, die weniger als ein Stück Zucker kosten. Eine differenzierte Diskussion in diesem Thema scheint im Moment gar nicht möglich zu sein. All jene, die vor einer Verknappung warnen, werden als Pfründe-Verteidiger in eine Ecke gestellt. Genau so geht es den präsentierten Lösungsvorschlägen. Die werden als Lobbyvorschläge verschrien.
In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass wir uns ziemlich hemmungslos diesem Trauerspiel hingeben und alle Versorgungsprobleme via Patientinnen und Patienten austragen und in grossen Lettern nur noch von Kosten sprechen ohne dabei zu beachten, dass es durchaus diskutable Randzonen gibt. Insbesondere auf Seiten des BAG (Krankenversicherung) und einiger Krankenversicherer scheint jeglicher Mut zu fehlen, hinzustehen und effektiv nachhaltige Lösung anstreben. Der eine Krankenkassenverband verweigert dazu jegliche Diskussion(Cufu diskutiert – immerhin). Zusammen mit dem Preisüberwacher posaunen sie grossartig die Geschichte der zu hohen Preise, sind dann aber nicht bereit Mitverantwortung zu übernehmen, wenn das Konzept der Preissenkungen scheitert und genau das eintritt was seit Jahren prophezeit wird. Schön, wenn dann andere verantwortlich sind und das ganze ausbaden dürfen ….

Letztendlich geht es darum, dass Patientinnen und Patienten mit den richtigen Medikamenten versorgt werden können. Zumindest habe ich das bisher gemeint.

Man mag mir vorwerfen, dass ich hier nicht darstelle wie es denn gehen müsste. Das habe ich jedoch schon zigfach..,, nachzulesen ebenfalls in meinem Blog.

Von Koinzidenz, Korrelation und Kausalität

Von zufälliger Übereinstimmung, Zusammenhang und Ursächlichkeit

Die Verlaufskurven der Abnahme des Verkaufs von Musikkassetten und der Abnahme der Asthmatoten zwischen 2005 und 2013 sind praktisch deckungsgleich. (Quelle: https://www.heyde.ch Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität). Es wird wohl kaum jemand ernsthaft behaupten, dass es zwischen den beiden Tendenzen einen direkten Zusammenhang gibt (Korrelation), noch dass die eine Grösse tatsächlich von der anderen abhängt (Kausalität). Also ist es eine rein zufällige Übereinstimmung – eine Koinzidenz oder eine Scheinkorrelation.
Die Verlaufskurve der Scheidungsrate im US-Bundesstatt Kentucky stimmen praktisch deckungsgleich mit jener der Leute überein, die nach einem Sturz aus einem Fischerboot ertrunken sind. Interessante Beispiele finden Sie hier: http://www.tylervigen.com/spurious-correlations.
Die Statistiken korrelieren. Sie gehen wohl mit mir einig, dass die Übereinstimmung reiner Zufall also eine Koinzidenz ist.
So einfach und einleuchtend die oben genannten Beispiele sind. Es gibt auch weit kompliziertere Beispiele, bei denen man nach einer kurzen Analyse darauf kommt, dass es einen Zusammenhang geben könnte, man jedoch bei der näheren Untersuchung feststellt, dass die Übereinstimmung rein zufällig ist. Um dies beweisen zu können, braucht es vertiefte Analysen und aufwändige statistische Testverfahren. Diese sind am aussagekräftigsten, wenn man die Resultate wiederholen kann. Wenn also beispielsweise die schwarze Katze von rechts immer Unglück bringt.
Eine etwas komplexere Fragestellung ist der Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit von Corona-Massnahmen und der Übersterblichkeit. Die nicht vorhandene Übersterblichkeit als Mass für die Begründung der Nicht-Notwendigkeit der Corona-Massnahmen heranzuziehen halte ich für höchst problematisch. Das lässt sich so nicht beweisen, da die Sterblichkeitsraten von vielen Faktoren abhängig sind. Zum Beispiel war die Zahl der Grippetoten im Vergleich zu den Vorjahren tief. Während dem Lockdown wurde kaum Auto gefahren, die Leute sind zu Hause geblieben. Also gab es kaum Verkehrs- oder Skiunfälle. Betriebsunfälle in geschlossenen Firmen gab es kaum. Zu behaupten, die nicht vorhandene Übersterblichkeit zeige, dass die Massnahmen nicht notwendig gewesen seien, wäre in etwa so, wie wenn man aufgrund der tiefen Unfallzahlen im Winter behaupten würde, dass das Salzen der Strassen unnötig sei. Wir wissen es schlicht nicht. Die Gegenprobe fehlt: Was wäre gewesen, wenn keine Massnahmen getroffen worden wären? Schnelle Schlüsse lassen sich nicht ziehen. Deutlich fundiertere statistische Analysen sind notwendig, um die Zusammenhänge zu belegen oder zu widerlegen. Ein direkter Zusammenhang liesse sich wohl nur beweisen, wenn man einen weiteren Lockdown verfügen und die Effekte vergleichen würde. Das ist dann zwar wissenschaftlich sauber, aber wohl kaum ernsthaft gewünscht. Deshalb bleibt der Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und der Notwendigkeit oder dem Effekt der Massnahmen vorerst reine Spekulation.
Seit 10 Jahren darf ich Kolumnen für’s Bödeli-Info schreiben. Zeit dieses Privileg weiterzugeben. Ich bedanke mich bei Ihnen liebe Leserinnen und Leser für die zahlreichen positiven Reaktionen. Und es ist richtig: falls die Kommata in meinen Texten richtig gesetzt waren, so war das eher eine Koinzidenz als dieser Umstand kausal mit meinem Wissen über die neue deutsche Rechtschreibung zusammenhängen würde.