Staatsversagen als Modewort unserer Zeit

Eröffnungsrede zur Parteiversammlung vom 5.9.2018 in Herzogenbuchsee

Liebe BDP Mitglieder, liebe Gäste

Herzlich willkommen zu unserer Herbst-Parteiversammlung hier in Herzogenbuchsee.

Nach einem fulminanten Start ins neue Jahr mit einer sehr intensiven Wahlphase ist es etwas ruhiger geworden – nicht nur bei der BDP sondern generell in der kantonalen Politlandschaft. Allerdings: nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Und die nächste Wahl steht bereits in etwas mehr als einem Jahr an. Die Scharmützel verlagern sich auf die nationale Ebene. Bei der BDP sind die Vorbereitungsarbeiten in vollem Gange. Das Wahlteam steht, es werden bereits erste Pflöcke gesetzt. Die Wahlkreisleiter sind zu einer ersten Sitzung eingeladen.
Im Grossen Rat sind drei neue Mitglieder gut in die BDP Fraktion integriert und an der Arbeit. Eine erste Session ist vorüber, die zweite ist im Gange. Man hört von der BDP, sie macht sich da und dort bemerkbar.

An der letzten Parteiversammlung habe ich meine Einschätzung über die für mich grössten Herausforderungen der Zukunft gesprochen. Die Digitalisierung und die demografische Entwicklung mit allem was dazu gehört stellen uns schon jetzt vor grössere Probleme als wir das wahrhaben wollen. Und gerade hier wäre eigentlich „Aktion“ erforderlich.
Aber wir haben’s gerade heute aus der Presse entnehmen können: die Revision der AHV wird wohl noch länger in Anspruch nehmen. Das eine Mal wie eben heute werden Linien nach rechts überschritten und das andere Mal Linien nach links. Das Resultat ist null Vorwärts geht gar nichts – obwohl’s eigentlich pressiert.
Und an sich waren wir nahe an einer guten Lösung, die an 70 Franken pro Monat gescheitert ist. Tatsächlich ist das was jetzt genau von jenen Kreisen geschnürt wird, die damals von Kuhhandel sprachen sogar für „Vorwärts“ kaum verdaulich. Fragen werden verknüpft die nicht zusammen gehören und am Schluss bleibt gar nichts übrig. Der Absturz der Vorlage ist schon fast so sicher wie das Amen in der Kriche.

Das ist ein typisches Beispiel für die aktuellen Kräfteverhältnisse in der Politik. Ich glaube weiterhin daran, dass der Tag kommen wird, wo die politischen Kräfte in der Mitte wieder gefragt sind. Notwendig sind sie, das wird uns jeden Tag vor Augen geführt.

Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es die BDP als Stimme der bürgerlichen Vernunft braucht – mehr denn je!

Die Ausschreitungen rund um die Reithalle durch linksautonome vom vergangenen Wochenende, die Zusammenstösse in Chemnitz zwischen rechts- und linksradikalen vom letzten Wochenende oder auch die Trump’schen Hüftschüsse und Entgleisungen, der Bürgerkrieg in Syrien, die Unruhen in Venezuela mit den damit verbundenen Flüchtlingsströmen sind einige Entwicklungen, die zur Sorge Anlass geben können.

Allerdings: Es ging uns in der Schweiz noch nie so gut wie heute. Deshalb mutet es sehr seltsam an wie Rechte und Linke unseren Staat schlecht reden.
Ein perfektes System gibt es nicht – nirgendwo. Aber es gibt immer Möglichkeiten es zu verbessern. Aber man muss dazu bereit sein.

Das funktioniert sicher nicht mit Blockade.

Und das wird dann „Staatsversagen“ genannt. Das ist mittlerweile auch zum Modebegriff geworden für alles, das nicht optimal funktioniert. Man kann das Staatsversagen natürlich auch selber provozieren oder es einfach herbeireden.
Jeder meint an sich etwas anderes, aber eigentlich meinen alle das Gleiche: Der Staat versagt, wenn er nicht genau das macht, was ich mir vorstelle. Und selbstverständlich muss man etwas zuerst schlecht reden bevor man sich als Retter in der Not hinstellen kann.

Steven Pinker ein amerikanischer Philosoph hat vor kurzer Zeit das Buch mit dem Titel „Aufklärung jetzt!“ veröffentlicht (Aufklärung jetzt; Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung von Steven Pinker; S. Fischer Verlage). Er glaubt nach wie vor an die Kraft der Aufklärung und der Vernunft – auch in „Zeiten des Horrorclowns im weissen Haus“ wie er schreibt. „Eine perfekte Welt werden wir niemals haben. Aber es gibt keine Grenzen diese Welt zu verbessern“.

Ich zitiere aus der Kurzbeschreibung des Buches auf der Webseite des Orell-Füssli Verlages:
„Hass, Populismus und Unvernunft regieren die Welt, Wissenschaftsfeindlichkeit macht sich breit, Wahrheit gibt es nicht mehr: Wer die Schlagzeilen von heute liest, könnte so denken. Doch Bestseller-Autor Steven Pinker zeigt, dass das grundfalsch ist. Er hat die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte gründlich untersucht und beweist in seiner fulminanten Studie, dass unser Leben stetig viel besser geworden ist. Heute leben wir länger, gesünder, sicherer, glücklicher, friedlicher und wohlhabender denn je, und nicht nur in der westlichen Welt. Der Grund: die Aufklärung und ihr Wertesystem.
Denn Aufklärung und Wissenschaft bieten nach wie vor die Basis, um mit Vernunft und im Konsens alle Probleme anzugehen. Anstelle von Gerüchten zählen Fakten, anstatt überlieferten Mythen zu glauben baut man auf Diskussion und Argumente. Anschaulich und brillant macht Pinker eines klar: Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt sind weiterhin unverzichtbar für unser Wohlergehen. Ohne sie wird die Welt auf keinen Fall zu einem besseren Ort für uns alle.“

Selbstverständlich macht jeder Staat Fehler, manchmal auch schlimme. Und selbstverständlich gibt es Probleme bei den Finanzen, bei der sozialen Wohnfahrt, im Asylwesen etc.

Aber ganz entscheidend ist ob der Staat und unsere Demokratie die Fähigkeit hat aus den Fehlern zu lernen und die Probleme zu lösen oder ob der Stammtisch meint er könne es besser.
Ist es nicht so, dass häufig als Beweis für das Staatsversagen der Umstand herangezogen wird, dass es solche Fehler überhaupt gibt.
Und : Staatsversagen in der Schweiz ? Was sollen dazu die Italiener, die Ungarn, die Polen, die Syrer oder Afghanen sagen? Sind wir auf diesem Niveau – man könnte es tatsächlich meinen hört man die Polteri von links und von rechts.

Die Anspruchshaltung an den Staat und die Regierung ist nach meinem Empfinden mehr und mehr so, dass von ihm erwartet wird, alles zu lösen und schon gelöst zu haben, bevor das Problem überhaupt entsteht. Nach meinem Empfinden tun die Fans des Staatsversagens alles dafür, dass die entstandenen Probleme gar nicht innert nützlicher Frist gelöst werden können.
Laut Joachim Käppner einem Kommentator der Süddeutschen Zeitung hat das Wort Staatsversagen seinen Ursprung in den Diktaturen früherer Zeiten in deren Systemen vorgegeben wurde, was zu akzeptieren ist. Solche Systeme gibt es nach wie vor und bedenklicherweise sind sie weiter auf dem Vormarsch. Demokratien werden aufgelöst, um die Meinung eines Gurus als sakrosankt erklärt. Ein aktuelles Beispiel ist die Türkei. Trotz massivem Einbruch der Lira ist daran selbstverständlich einzig und allein das Ausland schuld. Nicht der Präsident sondern alle anderen. Und das wird von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung auch tatsächlich geglaubt.

Laut Käppner hat das Aufbrechen dieser Systeme zu einer überbordenden Anspruch an die Regierung und an die Träger der Verantwortung geführt. Die gewonnene Freiheit wird nicht genutzt, sondern der Staat soll gefälligst alle Bedürfnisse erfüllen.

Aber der Staat ist nun mal keine Fürsorgeanstalt, sondern eine kollektive Einrichtung. Das demokratische Gemeinwesen ist ein freiheitliches Projekt an dem wir teilhaben und nicht nur davon profitieren sondern auch unseren Teil zum Gelingen beitragen müssen.

Die Aussage „Mö sötti“ -„mu sellti“ wie der Oberländer sagt – hat eine andere Qualität als „ich packe an und helfe mit“. Sie beweisen mit ihrer Anwesenheit und auch mit ihrer Mitgliedschaft bei der BDP, dass sie aktiv etwas zum Wohle unseres Staates beitragen wollen und sich den Grundwerten der BDP verpflichtet fühlen. Die BDP betreibt Politik mit Vernunft Verantwortung nicht nur für uns selber, sondern in erster Linie für das Allgemeinwohl. Die BDP lässt sich vom guten Gewissen gegenüber der Gesellschaft und der kommenden Generationen leiten. Ganz im Bewusstsein, dass unsere Freiheit ganz allgemein verantwortungsvolles Handeln zwingend voraussetzt. Eigenverantwortliches Handeln setzt ein gutes Gewissen gegenüber der Gesellschaft voraus. Dieses gute Gewissen ist geprägt von Solidarität und nicht von Egoismus.

Das Staatsversagen als Schuldigen aller Missstände heranzuziehen ist überheblich. Zudem werden die Errungenschaften der Freiheit damit sehr gering geschätzt.
Dem kann die Demokratie begegnen, wenn sie aus der Defensive heraus kommt – und genau dafür braucht es die BDP!

Steven Pinker spricht von der Stärkung der positiven Vision und sagt „die Probleme der Welt vor dem Hintergrund des Fortschritts sieht, den sie erreichen kann, indem sie diese Probleme löst.“

Es wird Zeit für mehr Zutrauen in unseren Staat und die Kraft der Schweizerischen Demokratie und ihrer Institutionen. Nicht links nicht rechts sondern Vorwärts ist die Devise.

In diesem Sinne eröffne ich die heutige Parteiversammlung.