Hey Lüt, simmer mal ehrlich !

singt Baschi in seinem neusten Song; dieser Blog ist geschrieben im Bewusstsein um gewisse Kontraste zum Song. Hier geht es eben genau nicht darum unüberlegt in den Tag hinein zu leben… der Blog ist meine persönliche Meinung und mit den Verbänden in deren Vorstand ich Einsitz nehme nicht abgesprochen.

Ehrlich?
Zumindest können das – aus Unkenntnis oder typischer Parteipolitik – einige Vertreter der FDP und der Mitte in der Arzneimittelpolitik nicht von sich behaupten.

Zugegeben: Der Kostendruck bei den Medikamenten ist sehr hoch. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, welches Segment bei den Medikamenten am stärksten wächst: Es sind die Medikamente, deren Patentschutz noch nicht abgelaufen ist.

Gemäss Interpharma/Santésuisse beträgt der Preisabstand der patentgeschützten Originalpräparate zum Ausland im Jahr 2022 zwar «nur» 5.4%.
Bei einem Gesamtumsatz von 3.2 Milliarden im Jahr 2023 (+8% gegenüber 2022 und verantwortlich für drei Viertel des Gesamtwachstums) sind das stolze 160 Millionen. Und dabei sind die Vertriebsanteile noch nicht einmal berücksichtigt.
Parallelimporte sind nicht erlaubt. Das verbietet das Patentrecht.

Dieselben Kreise, die den Patentschutz hochhalten, wollen nun erreichen, dass von Patientinnen und Patienten selbst beschaffte Medikamente aus dem Ausland von den Krankenkassen bezahlt werden. Beginnen wir doch am Anfang: Wie wäre es, wenn endlich die gleichen Regeln gelten würden wie innerhalb der EU? Die flankierenden Maßnahmen (wie z.B. die Umsetzung der Fälschungsrichtlinie) werden uns ja bereits vor die Nase gesetzt.
In allen anderen Bereichen sieht das Patentgesetz die regionale Erschöpfung vor und eben nicht die nationale. Ausser bei Arzneimitteln. Und durch alle Böden von FDP, SVP und Mitte verteidigt.
Warum eigentlich? Man könnte ja mal genau da ansetzen
Hey Lüt, simmer mal ehrlich und passen das Patentgesetz an. Warum genau muss die Schweiz im europäischen Raum eine Ausnahme sein?
Wer genau verteidigt jetzt welche Pfründe? Bei der Aufhebung des Territorialitätsprinzips gehört genau das zwingend dazu. Auch schon wenn man Versuche damit macht. Sonst simmer eben nicht mal ehrlich.

Es gäbe noch einen durchaus erwünschten Nebeneffekt: Die Schweiz würde auch für Parallelimporteure interessant – auch von patentabgelaufenen Medikamenten.
So wie es heute ist, bleibt die Schweiz für dieses Geschäft völlig uninteressant und findet nur sehr, sehr beschränkt statt. Ich habe mit vielen Parallelimporteuren gesprochen. Fast alle winken ab, weil wir eben eine Insel in Europa sind.

Und dann kommen gerade Vertreter der FDP mit Vorstössen, dass man unter dem Deckmantel der Kostenersparnis Patientinnen und Patienten ins Ausland schicken soll. Das spart einen Bruchteil von dem, was man mit einer Anpassung des Patentrechts sparen könnte. Und das wäre für alle, nicht nur für die an der Grenze. Nur … Spricht man sie darauf an, schauen sie ratlos. Kein Wunder:
Statt endlich die wirksamen Marktmechanismen einzuführen, kippt man ein ganzes Versorgungssystem auf den Kopf und überlässt es den Patientinnen und Patienten selbst, ohne sich jemals die haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Pharmakovigilanz angeschaut zu haben. Beim Parallelimport patentgeschützter Medikamente könnte man ansetzen. Aber da muss man gegen die eigenen Leute vorgehen. Lieber gegen die anderen, oder? Die bösen bösen Leistungserbringer bindet man an einen Pfahl, ohne ihnen die Chance zu geben da mitzutun…; sie müssen Auflagen vom Staat erfüllen, die ihre Kostenstruktur beeinflussen. Und der gleiche Staat öffnet dann die Türen, damit jene bezahlt werden, die genau diese Auflagen nicht erfüllen müssen. Und man unterbindet, durch Verbote, dass sie wenigstens eine Alternative bieten können. Logisch … und tschüss EPD, Qualitätsvertrag etc. etc. „Fair ist anders“ ist übrigens ein Slogan aus den gleichen Kreisen.

Und Ironie dabei: Die genau gleichen Kreise wollen die Grenze für zollfreie Einfuhren auf 150 Franken senken. Logisch, oder? Mit Medis kann man alles tun. Mit Lebensmitteln, Kleidern etc. muss man schon Regeln einhalten.
Hey Lüt, simmer mal ehrlich!

Mein Thema – Versorgungssicherheit – hat auch mit den Preisen zu tun.
Nicht schon wieder …. Doch! Es muss sein!
Wir kommen hier in das andere Marktsegment der Arzneimittel, deren Patentschutz abgelaufen ist. Dieser Bereich wächst kaum, im Gegenteil. Mit Medikamenten kurz nach Patentablauf lässt sich noch richtig Geld verdienen. Es wäre jedoch ein Trugschluss zu meinen, dass da die gleichen Firmen betroffen wären, die ich oben genannt habe. Oft verkaufen die Originalhersteller ihre einst lukrativen Produkte einige Zeit nach Patentablauf an Firmen wie Ceplapharm, Athnas, Euromedica und andere. Schon mal davon gehört? Roche, Novartis und andere Originalhersteller sind nicht mehr im Geschäft und können nicht mehr belangt werden.
Je weiter der Patentablauf zurückliegt, desto kritischer wird die Versorgung, weil weniger Geld zu verdienen ist, obwohl die Lieferketten bis zum geht nicht mehr optimiert wurden. Das ist der Bereich, der am meisten unter Druck steht. Gerade was die Versorgung angeht. Es werden am Schluss Geschäftsentscheidungen getroffen, die nichts mit dem therapeutischen Wert eines Produktes zu tun haben. Und Unternehmen, die resiliente Versorgungssysteme aufbauen, werden nicht belohnt, sondern müssen sich dem Billigstbieterprinzip unterwerfen, das nicht auf Resilienz achtet.
Und dann nützt es auch nichts, wenn man „monetäre Strafen“ für Unternehmen vorsieht, die nicht liefern können, wie es ein Mittepolitiker fordert. Dann werden die oben erwähnten unternehmerischen Entscheidungen noch viel früher getroffen. Toll.

Versorgung ist ein Thema, über das man offensichtlich lieber schweigt. Aber es ist wichtig und komplex. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Da kommt dann insbesondere von der Mitte nicht viel mehr als Achselzucken und die Aussage, dass man Preissenkungen und Versorgung getrennt anschauen müsse. Simmer mal ehrlich : das ist doch sehr naiv. Und Konzepte haben sie nur für Preissenkungen. Für Versorgung : nada ausser Bussen für jene, die nicht liefern können. Grandioses „Konzept“ ! Aber immerhin machen sie sich Gedanken. Von den anderen Parteien kommt diesbezüglich gar nichts.

Natürlich muss «man» etwas gegen zu hohe Preise tun. Aber eben mit einem Konzept, das eine gute Versorgung beinhaltet. Nicht Preise senken oder Schleusen öffnen und dann hinterher schauen, was das mit der Versorgung gemacht hat!
Wenn man ein Konzept hat, was man tut, wenn wichtige Medikamente knapp zu werden drohen, dann kann man auch gezielt Preise senken, wo es sinnvoll ist. Dann gibt es auch keine Argumente dagegen.

Das heisst, nicht nach «wishfull thinking» die Preise senken, dass es dann schon nicht so kommt, wie befürchtet. Aber eben mit einem Konzept, wenn das «wishfull thinking» bezüglich der Versorgung nicht eintritt.

Hey Lüt, simmer mol ehrlich! wir reden seit einigen Jahren darüber. Passiert ist nichts!
Das ist eben schwieriger als populistisches Geschrei unter der Überschrift «wir tun etwas». Mit Betonung auf «etwas». Es ist ein Unterschied, etwas zu tun und das Richtige zu tun. Das gilt für alle Seiten des politischen Spektrums.
Es geht um die Behandlung von Patientinnen und Patienten und nicht um Bratwürste oder weisse Socken gopf!

Nun kann man von SP-Seite sagen, die Bürgerlichen hätten das Referenzpreissystem verhindert. Das stimmt, und ich habe sogar mitgeholfen! Nicht weil ich ein besonderer Freund der Pharmaindustrie wäre, sondern weil ich viel mehr Freund der guten Versorgung von Patientinnen und Patienten bin. Seit über 20 Jahren.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Einführung solcher Preissysteme. Es geht um die Reihenfolge. Das heisst: Zuerst ein Konzept für eine gute Versorgung. Das sind Hausaufgaben, die VORHER gemacht werden müssen. Nicht geplant, sondern umgesetzt.
Dann kann man über alles reden. Weil man es dann intelligent macht und nicht mit dem Haudegen. Und zum Haudegen gehört eben auch die Umsetzung der aktuellen Idee der FDP mit der Aufhebung des Territorialitätsprinzips. Das gehört ins gleiche Kapitel. Klingt gut, wirkt aber kaum und hat viele Nebenwirkungen, gerade was die längerfristige Entwicklung der Versorgung angeht!

Wir brauchen einen Piloten im Cockpit! Den haben wir im Moment nicht. Die Patientinnen und Patienten werden ihrem Schicksal überlassen. Und die Leistungserbringer dürfen dann schauen, dass sie es trotzdem schaffen. Wir sind jetzt schon am Limit.

Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Jetzt vorwärts!
Ja, natürlich. Es ist kompliziert! Und Politiker werden nicht gewählt, weil sie bewiesen haben, dass sie komplexe Zusammenhänge verstehen. Manche schon. Aber nicht, weil sie Politiker sind …
(ich erlaube mir das zu sagen, weil ich früher auch einer war…). Die ganze Welt diskutiert darüber wie man die Versorgung sicherstellen kann und wir in der Schweiz sind immer noch in der Situation, dass wir darüber diskutieren, ob das jetzt wirklich ein Problem ist. Es ist eines! Und logisch hat es auch aber nicht nur mit Preisen zu tun ! SP Srech bisher (nicht von allen!) : die Industrie verdient eh zuviel und das Problem ist international wie können eh nichts tun.


Und sie brauchen jetzt nicht zu kommen und zu sagen, Sie hätten jetzt keine Zeit. Entschuldigung, wir reden seit fast 20 Jahren darüber. Wenn man zugehört hätte, dann gäbe es jetzt ein Konzept! Aber eben: Was nicht sein darf, das ist nicht.
Hey Lüt, simmer mal ehrlich! So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter!
Darum Versorgungsinitiative unterschreiben …

Zum Thema Ehrlichkeit gehört zum Schluss auch dies:
Die Chefin des Krankenkassenverbands Santésuisse behauptet, dass mit einer regelmässigen Überprüfung und Anpassung der Preise von Generika und Biosimilars eine Milliarde eingespart werden könnte (Medienmitteilung vom 17.5.2023). Wahrscheinlich wird sie das in ein paar Wochen wieder behaupten.
Es wird munter abgeschrieben und das Argument unhinterfragt übernommen, auch von Bundesstellen.
Dabei wird ein kleines Detail übersehen: Biosimilars hatten 2023 einen Umsatz von 174 Mio. und Generika einen von ca. 900 Mio. bei einem Gesamtmarkt von 6,5 Mrd. (zu Herstellerabgabepreisen). Man rechne sich aus, wie bei einem Umsatz von knapp 1,1 Milliarden eine Milliarde eingespart werden kann.
Hey Lüt, simmer mal ehrlich! Und mit den richtigen Zahlen operieren. Die sind dann halt niedriger, schüren aber keine falschen Erwartungen, die dann zu unüberlegten und konzeptlosen Massnahmen führen, die die Patientinnen und Patienten aussen vor lassen.

Genau solche Aussagen führen dann zu Behauptungen, man könne im Schweizer Gesundheitswesen locker 6 Milliarden einsparen, ohne dass die Qualität leidet. Wenn man so rechnet wie oben dargestellt, kommt man auf eine solche Zahl.
Ehrlich ist das nicht, sondern schlicht populistischer Seich!

Man vergleicht die Preise dann insbesondere mit Ländern, die bereits festgestellt haben, dass sie betreffend Versorgung ein noch grösseres Problem haben als wir.

Insbesondere Frankreich, Holland, Deutschland, Italien, Österreich und die skandinavischen Länder sind daran grundlegende Veränderungen herbeizuführen, weil sie gemerkt haben, dass es so nicht weiter geht. Und wir : wir blenden das aus und unternehmen immer wieder neue Versuche jene Wege zu beschreiten, die andere Länder bereits wieder verlassen, Und wir sind so grausam stolz auf die Preisvergleiche. Versorgungsvergleiche macht man freilich nicht. Aber genau das gehört mit dazu – wenn man mal ehrlich sein möchte.