Lieferengpässe – Staat oder Nicht-Staat oder wieviel Staat ?

Lieferengpässe sind ein aufgebauschtes Thema der Pharmaindustrie zum Durchbringen höherer Preise, sagen gewisse Kreise. Sie sind der Meinung, dass das Problem nicht gravierend sei und die Wirtschaft noch immer kreative Lösungen gefunden habe. Zur Untermauerung ihrer These wird das ganz aktuelle Beispiel der Versorgung mit Methadon beigezogen. Dies sei das Paradebeispiel dafür, dass die Wirtschaft die Probleme alleine lösen könne. Sehr oberflächlich betrachtet könne man tatsächlich zu diesem Schluss kommen.

Doch stimmt das wirklich ? Hält die Aussage einem Faktencheck überhaupt Stand ?

Methadon steht auf der Liste der meldepflichtigen Arzneimittel des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung BWL. Methadonpräparate unterstehen auch der Pflichtlagerhaltung.
Soweit so gut. Mit der Sistierung der Bewilligungen der Amino AG durften dort Methadon-Präparate weder hergestellt noch ab der Firma ausgeliefert werden. Es durften nur noch jene Präparate verwendet werden, die bereits im Markt waren, das heisst in den Lagern der Grossisten, Apotheken und selbstdispensierenden Ärzte. Dass dies möglich war, bedurfte einer ersten Absprache von Bundesstellen (Swissmedic und BWL).
Da der Zulassungsinhaberin die Bewilligung sistiert wurde, war auch das Pflichtlager blockiert. Die Pflichtlagerware durfte nicht ausgeliefert werden.
Da es sich bei Methadon um eine Substanz handelt, die auf der BWL-Liste verzeichnet ist, konnte das BWL aktiv werden. Sie hat einen Hersteller gesucht, der bereit war, die höheren Dosen von Methadon im Lohnauftrag herzustellen. Die Lohnauftraggeber waren in diesem Fall Apotheken, Lohnauftragnehmer war die Firma Streuli.
So einfach möchte man meinen. Effektiv hat’s einige Verhandlungen und Überzeugungsarbeit durch das BWL gebraucht bis das funktioniert hat. Gleichzeitig hat Swissmedic die Grenzen der gemäss Gesetz und Verordnungen vorgegebenen Regelungen sehr stark ausgereizt und mit dazu beigetragen, dass die Versorgung möglich blieb. Ein kurzfristiger Import war in diesem Mengen nicht möglich, da es sich beim Methadon um ein Betäubungsmittel handelt. Der Staat hat also auf allen Ebenen interveniert.
Die „kreative Lösung der Wirtschaft“ hat darin bestanden, dass eine Firma da war, die das überhaupt konnte, die bereit war kurzfristig Kapazitäten zur Verfügung zu stellen und einen Deal abzuschliessen. Dass das alles ging, beanspruchte mehrere staatliche Institutionen.
Ein klassisches Public-Private-Partnership. Mit Koordination durch den Staat.
Die „Wirtschaft“ hat geholfen das Problem zu lösen, der Staat hat koordiniert.
Und von den Krankenkassen habe ich hier noch gar nicht gesprochen.

Dann ist ja alles ok, es hat ja funktioniert möchte man sagen.
Das Beispiel spielt sich im Bereich Symptombekämpfung beim Auftreten eines Lieferengpasses ab. Da wurden – ebenfalls durch den Staat – diverse Massnahmen getroffen, die uns darin unterstützen mit dem bereits bestehenden Problem überhaupt einigermassen umgehen zu können. Das funktioniert für Substanzen, die beim BWL gelistet sind. Bei solchen die es nicht sind, läuft’s dann eben nicht so. Da wären die Kantone in der Pflicht gemäss Bundesverfassung. Und genau hier liegt die Crux in der Sache. Wie gross der Anteil der Lieferengpässe der beim BWL gelisteten Medikamente ist, ist auf der hier verlinkten Grafik zu sehen. Nota bene: Drugshortage.ch sammelt nur Daten von verschreibungspflichtigen Präparaten und solchen, die von den Krankenkassen bezahlt werden. 80% der Meldungen stammen von den Firmen selber.

Wie bereits beschreiben: es sind Massnahmen zur Symptombekämpfung bei eigetretenen „Versorgungsstörungen“.
Das grundlegende Problem ist damit jedoch nicht angegangen. Nämlich jenes, dass heute viele Präparate insbesondere von Randformen ganz vom Markt verschwinden oder in der Produktion hinten an gestellt werden. ich werde mich dazu in einer der nächsten Nummern der Ärztezeitung äussern. Sobald der Artikel draussen ist, werde ich ihn hier verlinken.

Dann kam die Idee auf Labels zu verteilen für zuverlässige Firmen oder für Firmen, die mehrere Wirkstofflieferanten im Hintergrund haben. Das ist ja schön und gut, jedoch auch nicht wirklich zu Ende gedacht. Was macht eine Firma, wenn sie zu den Labelträgern gehören will und Präparate auf dem Markt hat, bei denen sie nicht in der Lage ist eine zuverlässige Lieferkette zu installieren? Es ist einfacher das Produkt ganz zu eliminieren und sich dieser Last zu entledigen. Und schon verlieren wir noch mehr Medikamente, unabhängig von ihrem therapeutischen Stellenwert.
Oder man verteilt Labels für Firmen, deren Präparate mindestens zwei Lieferanten im Hintergrund haben. Das ist an sich ein guter Weg, den man unbedingt verfolgen müsste. Es gibt dabei jedoch mehrere Probleme: Diese Massnahme wirkt im besten Fall langfristig und müsste auf mehrere Grundvoraussetzungen zurückgreifen, die heute nicht gegeben sind. Diese Grundvoraussetzungen brauchen – richtig – wieder den Staat.
D.h. es müsste Transparenz geschaffen werden. Das ist heute nicht gegeben. Die Behörde weiss zwar, welche Hersteller dem Präparat zugeordnet sind. Sie hat von den Marktanteilen jedoch keine Ahnung. Und für’s Publikum sind die Daten nicht transparent einsehbar. Wir wissen fast bei jedem Liter Milch den Namen der Kuh. Bei den Medikamenten ist es nicht so. Wir wissen nichts von den Herstellern und können so auch keine Risikoabschätzung eines Lieferausfalls machen. Transparenz wird international gefordert.
Sollte dann jemand so ein Label kriegen, der zwar zwei Hersteller nachweisen kann, einer davon jedoch einen Anteil von maximal 1% hat und der andere die 99%. Dann nützt die ganze Massnahme nichts. Und wie genau würde man jetzt eine taugliche Lösung ohne den Staat hinkriegen ? Und bezieht sich das dann allein auf die Wirkstoffe ? Aktuell haben wir einige Beispiele von Medikamenten, die nicht geliefert werden können, weil Packmittel fehlen. Und so gibt’s von einem Schmerzmittel zwei Zulassungen – eins mit der nicht mehr lieferbaren eckigen Büchse und das andere mit der jetzt verfügbaren runden Büchse.

Ich bin damit einverstanden, dass der Staat nicht operativ einwirken sollte oder nur dann wenn gar nichts mehr geht (steht übrigens in der Versorgungsinitiative genau so drin).
Es braucht jedoch eine Instanz, die koordiniert. Das was wir bis jetzt haben ist ganz eindeutig zu wenig, insbesondere sind die Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen nicht geklärt, respektive so, dass jene, die eigentlich verantwortlich wären (die Kantone) nichts tun können, weil die Rahmenbedingungen andernorts definiert werden – nämlich beim Bund.
Das hält im Übrigen auch der Bericht des Bundesrates zur Versorgung (2022) fest (Seiten 29, 34, 60). Den Meisten ist klar: Es braucht eine Bundeskompetenz.

Den Staat aussen vor zu lassen ist in diesem extrem stark regulierten Umfeld schlicht nicht realistisch. Ich selber habe vor rund drei Jahren diverse Vorschläge gemacht. Ein Teil davon wurde auch umgesetzt. Ein Teil davon wurde bereits in der Taskforce diskutiert. Das ist allerdings noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Es braucht viel mehr. Es geht unter anderen auch um Themen wie CEP der EDQM, MOQ, Onshoring, Internationale Koordination etc. etc.; Sehr vieles bewegt sich ausserhalb von Preisdiskussionen.

Die Taskforce hat ihre Arbeiten abgeschlossen. Der Bericht wird im Moment erstellt und sollte in den nächsten Monaten präsentiert werden. Viele der Mitglieder des Initiativkomitees der Versorgungsinitiative haben sich dort aktiv eingebracht und an den Vorschlägen mitgearbeitet. Das BAG hat hier zusammen mit dem BWL einen sehr guten Job gemacht und die Diskussionen wurden in allen Teilen sehr professionell geführt. Alles ist auf den Tisch gekommen und wurde konstruktiv diskutiert. Alle – Vertreter der Industrieverbände, der Ärzte- und Apothekerverbände, der Grossisten, die Vertreterin der Patientinnen, der Vertreter des einen Krankenkassenverbandes und die Vertreter der verschiedenen Behörden – haben zu einem sehr differenzierten Bild beigetragen. Die Mitglieder des Initiativkomitees sind überzeugt, dass die Initiative den anschliessenden parlamentarischen Prozess unterstützt. Die Offenheit für bessere Vorschläge ist da. Der Bericht der Taskforce wird die Basis dafür legen. Die Initiative den notwendigen Druck, damit die Vorschläge der Taskforce dann auch tatsächlich umgesetzt werden und der Boden gelegt wird, die Bundeskompetenz in der Verfassung zu verankern.

Wenn man das Umfeld a fond kennt, dann lässt sich sogar glaubwürdig über gezielte Preissenkungen diskutieren, da bin ich durchaus bereit mich daran zu beteiligen. Das habe ich in meinem oben verlinkten offenen Brief auch aufgezeigt. Es gibt Medikamente, die viel zu teuer sind – sogar im günstigen Bereich.
Preissenkungsdiskussionen laufen heute extrem undifferenziert. Bei jeder Preissenkungsdiskussion braucht es jedoch eine klare Idee darüber, welche Auswirkungen sie auf die Versorgung hat. Das was wir heute tun ist bezüglich der Versorgung konzeptlos. Hauptsache Preise werden gesenkt. Dagegen wehre ich mich. Ein Konzept würde sogar eine einfachere Verhandlungsposition nach sich ziehen. Das ist eben dann etwas komplexer.
Zum Schluss noch der Hinweis auf meine Kolumne in Medinside vom 7.1.2023 daran hat sich – mindestens bis jetzt – nichts geändert.