Beispiele zum Verzweifeln – Teil 1 – teure Chemotherapien

Die Krankenkassenaufsicht wurde verschärft. Das ist an sich ja gut. Nur werden jetzt viele pragmatische Lösungen über den Haufen geworfen.
Die bestehenden Verordnungen müssen wortgenau umgesetzt werden. Ein anderer (auch möglicher Weg) wäre ja auch gewesen zuerst hinzuschauen, was eigentlich der Sinn hinter den getroffenen Lösungen ist und allenfalls die Verordnung zu ändern…. aber item, das ist offensichtlich nicht die Aufgabe der Aufsicht.
Jetzt fliegt uns allerdings einiges um die Ohren das bisher schlicht nicht geklärt war.
Die Konsequenzen daraus sind teuer.

Ein weiteres Beispiel dazu :
Das BAG hat seit dem Jahr 2002 versäumt zu klären wie genau die Regeln der Anwendung des sogenannten Zytostatika-Tarifs sind. Dies führte immer wieder zu Diskussionen. Die Spitalapotheker sind wiederholt vorstellig geworden und haben auch einige Vorschläge zur Umsetzung eingebracht. Die Eingaben wurden nicht einmal beantwortet.
In der Zwischenzeit hat man sich mit den meisten Kassen arrangiert und pragmatische Lösungen gefunden. Aber jetzt geht das eben nicht mehr.
So wurde eine Krankenkasse besonders kreativ und hat mittels juristischem Gutachten klären lassen wie denn der Tarif anzuwenden sei. Die Juristen – mit offenbar sehr wenig Sachverstand für heilmittelrechtliche oder arbeitsrechtliche Vorschriften rund um Krebsmedikamente – sind zum Schluss gekommen, dass man den Tarif gar nicht anwenden könne. Im Jahr 2019, also 17 Jahre nach Inkrafttreten des Tarifs ….

Und das weil das BAG trotz mehrfachem Hinweis und mehrfacher Aufforderung verschiedenster Seiten (auch von Kantonsapothekern) das Ganze hat Schleifen lassen. Notabene seit Einführung des Tarifs im Jahre 2002 … Und seither haben sich die Rahmenbedingungen noch verschärft, die Regeln im Arzneimittelrecht (erlassen durch den Bundesrat über das gleiche BAG ; aber eben eine andere Abteilung) haben sich geändert. Es gibt harmonisierte Vorschriften der Kantonsapothekerämter, es gibt Vorgaben der SUVA etc. etc. Das alles ist bei der zuständigen Abteilung des BAG vorbei gezogen, als ob die Welt stillgestanden wäre. Trotz mehrfachen Hinweisen, dass Handlungsbedarf bestehe.
Jetzt haben wir den Salat …

Ich mache ein Beispiel (und habe noch viele andere dazu) das Mehrkosten pro Patient in der Grössenordnung von über 14’000 Franken auslöst – für einen einzigen Patienten. Und die 14’000.- sind für den Abfallkübel und nicht für die Therapie …


Es gibt eine neuere Kombinationstherapie zur Behandlung des Hautkrebses. Diese besteht aus den beiden Medikamenten Opdivo und Yervoy.
Das Schema lautet : Opdivo 1mg/kg alle 3 Wochen gefolgt von Yervoy 3 mg/kg am gleichen Tag während 4 Zyklen.

Die Dosierung hier ist in mg / kg, hängt also davon ab wie schwer jemand ist.
Nehmen wir mal ein Durchschnittsgewicht von 70 kg an.
Vom Opdivo wären also 70 mg gefordert, vom Yervoy 210 mg alle 3 Wochen während 4 Zyklen, also insgesamt 280 mg Opdivo und 840 mg Yervoy.
Soweit noch ok.
Jetzt gibt’s Opdivo in Flaschen zu 40 mg, zu 100 mg und zu 240 mg. Yervoy gibt’s in Flaschen zu 200 mg und zu 50 mg.
Der Hacken dabei : die offenen Flaschen von Opdivo sind gemäss Fachinformation nur 48 Stunden haltbar. Jene von Yervoy während 24 Stunden. Dafür haftet die Firma.
Das heisst die Gesamtzahl von mg ist für den „normalen“ Vorgang nicht relevant.

Pro Zyklus braucht man also zwei Flaschen Opdivo zu 40 mg; davon werden in jedem Zyklus 10 mg weggeworfen. Also insgesamt 8 Flaschen für 4 Zyklen; Eine Flasche kostet 682.75. Das Opdivo kostet demzufolge total 5462.- ; von den eingesetzten 320 mg wandern deren 280 in den Patenten und 40 mg im Wert von 682.75 in den Kübel. Das geht hier aufgrund der Haltbarkeit nicht anders.

Beim Yervoy sieht es etwas anders aus :
Hier braucht es pro Zyklus eine Flasche zu 200 mg und eine zu 50 mg.
Kostet 17’327.05 und 4’516.25 Total also 21’843.30 pro Zyklus bei 4 Zyklen sind das 87’373.20. Davon gehen 840 mg in den Patienten und insgesamt 160 mg in den Kübel;
Wert für den Kübel rund 14’452.- …. für einen einzigen Patienten.
Das sieht sehr teuer aus – und ist es auch. Also haben wir alles Interesse daran die Kosten tief zu halten .
Jetzt gibt es Fachliteratur (nicht abenteuerliche Käseblätter, sondern angesehene Fachzeitschriften) die aussagen, dass Yervoy unter der Bedingung, dass es unter kontrollierten sterilen Bedingungen aufbereitet wird durchaus länger als die 24 Stunden haltbar ist. Bedingung ist ein Reinraum. Und genau den haben wir, diese Einrichtung wird kantonal geprüft, die Vorschriften zu Betrieb sind streng. Und dafür gibt’s eben diesen Zytostatika-Tarif.
So wird es möglich, dass Yervoy mg-genau verwendet werden kann. Entweder für mehrere Patienten innerhalb von kurzer Zeit oder eben auch für den gleichen Patienten innerhalb von 3 Wochen. Dafür trägt nicht mehr die Firma die Verantwortung, sondern die Person, die für die Herstellung verantwortlich ist. Das ist rechtlich gesehen kein Problem, wenn die in der sogenannten Pharmakopoe beschriebenen Regeln eingehalten werden. Für Optivo geht das leider nicht. Die Haltbarkeit ist nicht gegeben.

Die Konsequenz :
Yervoy kostet noch 73826.25 (statt 87373.20). In den Kübel gehen am Schluss allenfalls noch 10 mg Yervoy. Und dies nur dann, wenn es keine weiteren Patienten zu behandeln gilt.
Dazu kommt der Zytostatika-Tarif : also 55 Franken pro Infusion. Das sind 4 x Opdivo und 4 x Yervoy, also 8 x 55.- ergibt 440.-;

Jetzt verweigert die eine Krankenkasse den Tarif. Sie sagt aus, dass die Arzneimittel alle verwendungsfertig seien und nimmt dazu eine Definition, die sie sehr eigentümlich herleitet.
Wenn sie also verwendungsfertig sind, dann braucht es keine Manipulation mehr, das heisst es fällt auch kein Tarif an.
Logisch also, dass wir dann auch nicht Teile in Rechnung stellen, sondern das eben „verwendungsfertige“ Produkt.
Ich kann da verschiedenen Leuten gratulieren :
Der Krankenkasse zum Sparen von 440.- Tarif.
Der Firma BMS zu rund 14’000.- Umsatz.
Der Abfallwirtschaft für die Entsorgung von unnötigem Sondermüll im Hochtemperaturverbrennungsofen.
Und eigentlich auch uns. Denn statt den 440.- für den Tarif und insgesamt 10 eingesetzten Falschen mit jeweils einer Marge von 240.- (Total 2400.-+440.-) verbrauchen wir neu insgesamt 16 Flaschen mit einer ähnlich hohen Marge und verdienen dabei 3840.-.
Also was rege ich mich denn überhaupt auf. Die Produktion von Abfall wird ja sehr üppig gefördert….
Sinnvoll ist anders. Und nur weil die Ausgangslage komplex ist schaut niemand hin.

Selbstverständlich gibt es auch Therapien, bei denen die Anwendung des Tarif’s Zusatzkosten gegenüber den konventionellen Verfahren generiert, so wie in diesem Beispiel beim Opdivo.
Den Tarif gibt’s jedoch nicht einfach so. Entweder wenden wir ihn überall an oder gar nicht. Die Schutzmassnahmen fürs Personal braucht es so oder so – auch beim Opdivo. Und wenn ein Apotheker involviert ist, dann handelt es sich immer um eine Herstellung. D.h. die Qualitätssicherungsmassnahmen sind genau gleich. Mittlerweile deckt der Tarif die Kosten nicht mehr und angesichts des Spareffektes müsste er eigentlich so oder so höher sein.

Unter dem Strich geht’s sehr locker auf. Bei uns werden alleine mit 4 Medikamenten alle Kosten für die Tarife mehr als kompensiert. Unter dem Strich resultiert immer noch ein mittlerer 6-stelliger Betrag zu Gunsten der Kassen. Die Massnahme ist also hoch effizient.
Deshalb begreife ich nicht, weshalb man dieses Thema so lange vor sich hin schleppt und nicht in der Lage ist unter Einbezug der heilmittelrechtlichen Vorgaben der Pharmakopoe und des Heilmittelgesetzes klar Stellung zu beziehen.
Ich überlege ernsthaft ob wir uns dies überhaupt noch antun wollen und der Einfachheit halber den vollen Preis verrechnen. Es scheint sich niemand dafür zu interessieren….
Vernunft ist anders. Aber was will man anderes tun, wenn seit fast 20 Jahren nicht gehört wird….