Die Versorgung mit Arzneimitteln für die Behandlung von bisher gut beherrschten „Volkskrankheiten“ wie Bluthochdruck, Epilepsie oder Parkinson steht auf der Kippe!

Blog vom 28. Mai 2019

Heute am 28. Mai 2019 haben wir in der Schweiz die Marke von 600 Lieferengpässen von Medikamenten überschritten. Davon besonders betroffen sind Medikamente gegen Bluthochdruck. Mit über 130 fehlenden Packungsgrössen aus verschiedenen Wirkstoffgruppen führen sie die Liste an. Besonders problematisch sind die Epilepsiemedikamente, weil die Umstellung noch komplizierter ist als bei den Herzmedikamenten. Ebenso einige Parkinsonmedikamente bei denen die Anpassung der Therapie eng begleitet werden muss. Alle diese Therapiegebiete lösen im Moment zusätzliche Arztbesuche aus. Die Medikamente müssen neu eingestellt werden. Das geht nicht einfach so von heute auf morgen. Und absetzen kann man sie auch nicht einfach so. Man muss also handeln wenn sie fehlen.

All diese Medikamente sind nicht auf der Liste des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung verzeichnet. Sie sind zwar durchaus ersetzbar, aber eben nicht ohne Begleitung und auch nicht ohne Komplikationen – gerade bei den Epilepsie- oder Parkinsonmedikamenten.

Der Bund hat mit der Revision des Heilmittelgesetzes seit dem Jahr 2010 auf die Situation reagiert und die Möglichkeit geschaffen, dass wir unbürokratisch Medikamente aus dem Ausland importieren können. Das half uns bisher die Patientenversorgung mehr oder weniger sicherzustellen.
Ungelöst Ist die Finanzierung. Die Kassen dürfen die Kosten dieser Medikamente nicht übernehmen weil sie nicht in der Spezialitätenliste stehen. Man kann einen Antrag stellen über eine Einzelfallbeurteilung. Das ist jedoch bürokratisch extrem aufwändig und die Aussicht auf Erfolg ist minimal. Der einfachere Weg für die Behandler ist die Umstellung – auch wenn das für die Patientinnen und Patienten nicht von Vorteil ist. Die Bürokratie verhindert die gute Lösung. Einmal umgestellt verbleiben die Patientinnen und Patienten dann auf diesen – meist teureren- Medikamente. Die Therapie ist definitiv umgestellt.
Wir haben uns bisher damit beholfen, dass wir dann halt das Medikament in Deutschland besorgt und das Schweizer Medikament abgerechnet haben. Das ist zwar nicht korrekt, aber es war bisher die einzige Möglichkeit Lieferengpässe mit Importen zu überbrücken ohne dass die Patienten umgestellt oder hohe bürokratische Hürden zu überwinden waren. Das Patientenwohl geht in diesen Situationen vor !

Gerade heute am Tag des Rekordhochs von Lieferengpässe kommt die Meldung aus Belgien, dass sie Grosshändlern verbieten Medikamente zu exportieren. Dies deshalb weil die Lieferengpässe sehr stark zugenommen haben. Der belgische Staat will verhindern, dass ihre Medikamente in erster Linie nach Holland exportiert werden, wo das Problem der Lieferengpässe noch grösser ist als bei uns. Wenn dieses Beispiel z.B. in Deutschland – wo das Problem nicht kleiner ist – Schule macht, dann haben wir in der Schweiz schlechte Karten. Die vielen Lieferengpässe werden für noch mehr Patientinnen und Patienten spürbar.

Und ebenfalls heute wurde in der ARD ein Bericht über Lieferengpässe in der Anästhesie in Deutschland wo hunderte Patienten statt einer Spinalanästhesie bei ihren Operationen eine Vollnarkose erhalten haben. Mit den entsprechenden Folgekosten respektive Folgen mit die Patientinnen und Patienten.

All diese Beispiele zeigen, dass Lieferengpässe von Medikamenten heute deutlich mehr umfassen als die „Kriegsversorgung“ und die Beschränkung auf lebensnotwenige Arzneimittel. Diese sind zwar ebenfalls betroffen doch bezüglich der Auswirkung für die Masse von Patientinnen und Patienten doch eher untergeordnet. Klar ist es überhaupt nicht gut, wenn im Moment auch die Zecken- oder die Tollwutimpfung fehlt. Klar ist es ein Problem, wenn Kinder nicht adäquat geimpft werden können. Aber die Masse der betroffenen Personen ist jetzt in anderen Therapiegruppen wie eben Bluthochdruck, Epilepsie und Parkinson in vielen Dimensionen grösser. Und genau die werden auf der Liste des Bundes nicht erfasst.

Die Amerikaner hatten übrigens beim Wirkstoff Losartan die „kreative“ Idee den Grenzwert für die krebserregenden Nitrosamine einfach für 6 Monate nach oben zu setzen, um nicht das gleiche Problem zu bekommen das es beim verunreinigten Valsartan bereits weltweit gibt. Auch ein Weg ……. bei uns sind alle Wirkstoffe der Gruppe der sehr breit angewendeten Sartane von Lieferengpässen betroffen. Bluthochdruck hatten wir doch eigentlich im Griff…. Das Problem mit den Verunreinigungen greift jetzt auch in andere Therapiegebiete so zum Beispiel Antidiabetica.

Was mich in der Situation tierisch nervt:
Es gibt immer noch Leute die finden, das Problem sei von völlig untergeordneter Bedeutung. So behauptet die Direktorin der Santésuisse bei jeder Gelegenheit, dass Lieferengpässe europaweit kaum zu beobachten seien. Für alle Leute die tagtäglich mit dem Management dieser Lieferengpässe zu tun haben sind solche Aussagen blanker Hohn! Sie sind völlig faktenfrei.
Es bringt auch nichts den schwarzen Peter den Spitälern zuzuschieben, die dem vernehmen nach ihre Lager abgebaut haben. Noch wenn es so wäre, das würde in der Masse der Probleme überhaupt nicht helfen. Die Listen wären gleich lang. Höhere Lager steuern die Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten. Die Listen führen allerdings nicht auf welche Lieferengpässe bis zu den Patienten gelangen. Die Listen des BWL und auch von Drugshortage.ch beschreiben den Weg von den Firmen zu den Detialhändlern und nicht den Weg bis zu den Patientinnen und Patienten. Und trotzdem : bei jedem Medikament das auf einer der Listen erscheint muss überlegt werden was zu tun ist. Sind Ersatzmedikamente zu organisieren, gibt es die überhaupt, muss man Therapiekonzepte anpassen etc. etc..

Selbstverständlich bin auch ich der Meinung, dass die Preise mancher Arzneimittel in der Schweiz zu hoch sind. Ich habe mehrfach bewiesen, dass ich mich für ein System einsetze, das aus dem investierten Franken das Optimum herausholt. Wenn das 2 Millionen Medikament von Novartis von der Börse gefeiert wird, gleichzeitig aber die Novartis-Tochterfirma Sandoz am heutigen Tag ganze 124 Medikamente nicht liefern kann, das sollte zu denken geben. Es ist richtig, dass wir sparen müssen, um uns die teuren Medikamente überhaupt leisten zu können. Die angedachten Pauschallösungen können zur Folge haben, dass genau das Gegenteil raus kommt : es nützt uns nichts wenn dann die vergünstigten Medikamente gar nicht mehr zur Verfügung stehen.

Lieferengpässe sind ein zunehmend ernstes Problem. Veränderungen im System mit potentiellen Auswirkungen auf die eh schon angespannte Versorgungslage sollten deshalb gut überlegt sein und auf aktuelle reale Entwicklungen und nicht primär auf blosse faktenfreie Behauptungen abstützen nur weil es im Moment gerade politisch opportun ist Arzneimittelpreise pauschal zu verurteilen. Sonst fliegt uns das System schon sehr bald um die Ohren. Zwar sind jene verantwortlich die ein System mit solchen Platitüden kippen, ausbaden müssen es am Schluss die Patientinnen und Patienten respektive auch die Prämienzahler. Ob es dann tatsächlich günstiger wird wage ich sehr zu bezweifeln, denn praktisch jede Umstellung, die in einer Engpasssituation erfolgt wird von einem günstigen auf ein teureres Produkt gemacht. Das sind die negativen Auswirkungen des vielbeschworenen Marktes. Er hat seine Gesetze und eben auch seine Grenzen. Insbesondere wenn am Schluss günstige Therapien durch teure ersetzt werden.

Links zu den angesprochenen Themenkreisen :

https://www.drugshortage.ch

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/05/28/belgien-export-verbot-fuer-grosshaendler

https://www.swr.de/report/vollnarkose-statt-oertlicher-betaeubung-wie-aerzte-und-patienten-unter-lieferengpaessen-leiden/-/id=233454/did=23867142/nid=233454/cnwiej/index.html

Aussage Direktorin Santésuisse in Santémedia vom November 2018 https://www.facebook.com/enea.martinelli/videos/10214461531953545/

Zur ganzen Sendung : https://www.santemedia.ch/medikamente-wie-gut-ist-billig/

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/03/26/nmba-verunreinigung-fda-erlaubt-erhoehten-grenzwert