Ibuprofen-Sirup ist zurzeit schwer erhältlich. Und wenn die Apotheken ihn herstellen, wird er von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Vorbemerkung eingefügt am 8.1.2023: Das BAG hat über die Feiertage 22/23 gearbeitet und am 4.1.23 eine Lösung präsentiert, die kurzfristig hilft, dass wenigstens zum Beispiel der selbst hergestellte Sirup und die unten angesprochenen Amlodipin-Tabletten durch die Kassen übernommen werden.

Beides ist ein Armutszeugnis für das Pharma-Land Schweiz.

Der Bedarf hat sich nicht nur in der Schweiz sehr stark entwickelt. Dies insbesondere deshalb, weil Kinder während der Pandemie vor Viren durch die Masken und die Abstandsregeln geschützt waren und jetzt den Viren wieder ausgesetzt sind. Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder sind zum Teil das erste Mal damit konfrontiert und reagieren entsprechend heftig. Infektionen der Atemwege verbunden mit Fieber und Husten sind die Regel.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Bedarf an Medikamenten zur Behandlung dieser Infektionskrankheiten und deren Begleiterscheinungen steigt.
Sei es zur Bekämpfung des Fiebers oder zur Bekämpfung der Begleitinfektionen.

So sind aktuell insbesondere die Ibuprofen-Sirupe Mangelware. Auch die antibiotischen Kindersirupe sind unter Druck (Amoxicillin, Co-Amoxicillin).
Nicht nur in der Schweiz, auch im umliegenden Ausland bis hin in die USA, Kanada und Australien sind diese Sirupe Mangelware.  Alternativen gibt es nicht wirklich dazu – und wenn, dann sind auch diese Mangelware. 
Hier ein Link auf einen Kollegen aus Kanada, der seine Situation beschreibt:
Emergency supply of kids‘ meds is coming amid national shortage | CBC News

Genau für solche Situationen können die Apotheken die Alternativen selber herstellen – so wie der kanadische Kollege die „Compounding-Pharmacy“ beschreibt im Beitrag.  Ibuprofen-Sirup kann er herstellen, bei Amoxicillin respektive Co-Amoxicillin wird’s schwieriger. Was er offensichtlich nicht weiss ist der Umstand, dass dieses Problem auch Europa betrifft.

Die Substanz Ibuprofen ist zwar selber auch schwierig zu beziehen. Wir können die Sirupe jedoch über die Tabletten herstellen. Wie aufwändig das ist, kann man hier sehen:
Bei Ibuprofen-Engpass: Suspensionen aus der Rezeptur – PTAheute

Das spezielle Problem in der Schweiz:

In der Schweiz haben wir im Vergleich mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den umliegenden Ländern oder auch im Vergleich jenen in Übersee ein spezielles Problem:

Wir dürfen diesen Sirup zwar herstellen, aber die Eltern müssen ihn selber zahlen, obwohl der eben fehlende Sirup bezahlt würde. Das heisst, die Eltern müssen ein Problem ausbaden, das an sich andererorts entstanden ist.

Und das ist nicht ein Problem, das man nicht hätte vorhersehen können.
Seit über 20 Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass der Amtstarif der ALT – also der vom BAG verfügten Arzneimittelliste mit Tarif – nicht mehr aktuell sei.
Die letzte grundlegende Revision stammt aus dem Jahr 1996! Ist also über 25 Jahre her. Dazwischen wurden einzelne Positionen leicht angepasst – in der Regel die Blutbeutel – aber sonst ist nichts geschehen. Seit 1996 wurde das Heilmittelgesetz (2002) eingeführt und zwei Mal revidiert (2010 und 2018). Es gab dort genau für den Bereich der Herstellung in der Apotheke grundlegende Anpassungen, notabene unter Federführung des gleichen Amtes wie jenes, das für die Revision des Tarif zuständig wäre. So ist Ibuprofen nicht in dieser Liste aufgeführt. Zwar ist festgehalten, dass es aus Tabletten hergestellt an sich bezahlt werden sollte – viele Kassen lehnen genau das jedoch ab.

Ein Beispiel eines Medikamentes, das bei Kindern häufig gegen Bluthochdruck eingesetzt wird:
Amlodipin wird dazu nicht selten verwendet. Die Substanz ist auch nicht in der ALT aufgeführt. Und auch hier wieder dass selbe“Spiel“. Immer mehr Kassen verweigern die Zahlung, weil das BAG die Regeln nicht klärt.

Die übliche Dosierung beträgt 0.06 – 0.3 mg/kg/Dosis für Kinder von einem Monat bis 18 Jahren. Abhängig vom zu korrigierenden Bluthochdruck (Quelle: SwissPedDose – Nationale Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern aufgerufen am 16.11.2022)

Nehmen wir ein Kind mit einem Gewicht von 15 kg. Die Dosierung wäre 0.9 mg bis 4.5 mg
Die kleinste Tablette enthält 5 mg.
Jetzt versuchen Sie mal ihrem Kind 1 mg zu geben… Sie müssten die Tablette fünfteln und hätten dabei keine Gewähr, dass sie immer 1 mg drin haben. Es bessert, wenn das Kind schwerer wird… aber auch nicht wirklich …
Genau das mutet das BAG respektive die Krankenkassen den Eltern zu.
Weil das BAG den Tarif nur schleppend anpassen will, weil sich die Krankenkassen gegen die Anpassung wehren, weil wir Apotheker für jede einzeln Substanz ein Dossier mit x Seiten einreichen müssen, wenn wir die Substanz gelistet haben möchten. Dabei wäre es einfach festzulegen – wie im Ausland auch: ist eine Substanz in der SL wird das hergestellte Produkt bezahlt. Dass man nichts herstellen darf für das es eine geeignete und verfügbare Alternative gibt, ist im Heilmittelgesetz festgelegt. Dass die Mengen klein bleiben ist ebenfalls dort festgelegt. Welche Blüten das auch noch treibt habe ich hier im Fall 2 beschrieben.. https://www.enea-martinelli.ch/news-aus-der-kassenwelt-wie-man-vernuenftige-in-die-unvernunft-treibt/



In Fall des Amlodipins kommt noch eine Ironie dazu:
Der Bund hat viel Geld in die Datenbank SwissPedDose zur Harmonisierung der Kinderdosierungen investiert. Das BAG ist hier aktiv. Es wurden diverse Vorstösse zur Verbesserung der Situation bei Kinderarzneimitteln eingereicht. Es wurde schlicht vergessen, dass da die Krankenversicherung eigentlich mitziehen müsste… Ein Beispiel mehr für die Inkonsistenz zwischen den Abteilungen des BAG. Der beabsichtigte Effizienzgewinn durch die Integration der früheren Abteilung Krankenversicherung des Bundesamtes für Sozialversicherung ins Bundesamt für Gesundheit wird nicht ausgeschöpft. Gerade bei Versorgungsthemen sehen wir, dass die Abteilung nicht Hand in Hand, sondern zum Teil gegeneinander arbeiten.

Dieser Tarif wäre ja zum grossen Teil eigentlich genau für das gedacht: für spezielle Patientengruppen eine adäquate Lösung bieten zu können und bei Lieferengpässen eine Alternative zu haben.. Die Herstellung hat also nicht Selbstzweck, sondern um ein Problem zu lösen.

Einige Krankenkassen gehen heute sogar dazu über, dass sie gar keine Kinderdosierungen mehr zahlen, die nicht im Markt verfügbar sind und selbst hergestellt werden müssen. Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis!

Wir zahlen sehr hohe Preise für Medikamente gegen Krankheiten, die einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung betreffen und lassen in dieser Situation die Eltern alleine mit dem Problem.