News aus der Kassenwelt ….. – wie man Vernünftige in die Unvernunft treibt …

Wieder einmal habe ich zwei Fälle bei denen die Grenzen meines Verstandes ziemlich strapaziert werden:

Fall 1 :
Bei einem Patienten mit einem neu diagnostizierten metastasierenden Pankreas-Krebs in einem klinisch fortgeschrittenen Stadium. Wie in der Onkologie üblich haben unsere Ärzte die in diesem Stadium wirksamste Therapie herausgesucht und ein Kostengutsprachegesuch mit Beilage der entsprechenden gut fundierten Literatur gestellt. So wie sie das schon mehrfach bei anderen Kassen gemacht haben und die Übernahme der Kosten so immer geklappt hat. Es bestand eine grosse Dringlichkeit, weil ein Nichtbeginn der Therapie relativ rasch fatale Folgen für den Patienten gehabt hätte.

Soweit so „normal“ (nicht für den Patienten natürlich aber für den Ablauf)

Die Antwort der Krankenkasse war so, dass sie die Kostenübernahme erst beurteilen könne, wenn sie wisse, von welchem Hersteller die eingesetzten Produkte seien. Das ist zwar eine eher unkonventionelle Nachfrage, aber an sich legitim, denn die Finanzierung erfolgt nach dem sogenannten Artikel 71 KVV, einem Artikel, der die Bezahlung sogenannter „off-label“ Therapien zulässt. Für die Insider: FOLFIRINOX an sich wird in Klasse A angesiedelt mit im NJEM belegten OS > 6 Monate.

Wir setzen für diese Art von Therapie alles Generika ein, zufälligerweise alle vom gleichen Hersteller. Die Präparate gibts noch von einem anderen Hersteller als Generika plus die Originale natürlich. Die Kostenübernahme sollte also eigentlich kein Problem sein. Dachten wir… Bis hier hin habe ich zwar über die Anfrage etwas gestaunt, denn sie war in der Logik zwar unkonventionell aber immer noch einigermassen nachvollziehbar.

Jetzt kommt der doch etwas befremdliche Teil: Der redlich um eine Lösung bemühte Sachbearbeiter teilt uns mit, dass die Krankenkasse die Therapie nicht übernehmen könne, wenn wir Generika von diesem Hersteller einsetzen würden (es ist kein exotischer Hersteller sondern einer der grössten weltweit). Die Kasse habe mit keiner der beiden Generika-Firmen einen Vertrag für die Rückvergütung bei off-label-use Fällen.

Ich habe dann nachgefragt mit welchen Firmen sie denn einen Vertrag hätten. Und siehe da: mit den beiden betroffenen Originalherstellern haben sie einen. Nach langem hin und her haben wir uns dann geeinigt. Mit unseren Abrechnungsregeln bei denen wir uns an die Rabattweitergabepflichten halten und Grossgebinde zur Herstellung einsetzen kam der Preis auf deutlich weniger als die Originalpräparate und auch auf deutlich weniger als den Publikumspreis der Generika. Das machen wir immer so, nicht nur für diese Kasse. Wenn wir die Originalpräparate angegeben hätten wäre es wohl zu keiner Diskussion gekommen …..

Was mich daran sehr stört: Und uns wirft man vor, dass wir an den Originalen festhalten, weil wir finanziell davon profitieren. Das stimmt zwar überhaupt nicht, denn die Rabatte sind bei den Generika viel höher als bei Originalen.

Ich habe ein grundsätzliches Problem damit wenn diejenigen, die uns deswegen kritisieren, selber genau das machen, was sie uns vorhalten. Dann geht das über mein Verständnis hinaus. So werden Vernünftige in die Unvernunft getrieben…

Fall 2:
Das Präparat Quetiapin wird in der Geriatrie bei Unruhezuständen als Reservemedikation in sehr tiefer Dosierung eingesetzt. Die tiefste im Handel erhältliche Dosierung ist 25 mg. Es reichen aber in der Regel 5 bis 10 mg aus, da insbesondere ältere Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion mit 25 mg nicht nur ruhig sondern sehr ruhig sind. Das ist nicht vernünftig. Leider gibt es keinen Hersteller, dessen Tablette zur Teilung vorgesehen ist. Die Tabletten sind rund und haben einen Durchmesser von 6 mm.
Jetzt versuchen Sie mal so eine kleine Scheibe mit 25 mg zu teilen. Richtig: das gelingt schlecht, sie haben auf der einen Seite dann möglicherweise dann 15 mg und auf der anderen Seite nur 10.  Aber eigentlich sind nur 5 mg ausreichend. D.h. sie müssten die 25 mg Tablette Fünfteln. 10 mg auf Anhieb zu erreichen ist fast nicht möglich. Die Hersteller sind nicht bereit diese in der Praxis übliche Dosierung anzubieten, weil die Indikation der Sedation bei Unruhestörung im off-label Bereich liegt. Das ist jedoch gängige Praxis. Soweit so gut, über die Sinnhaftigkeit kann man lange diskutieren, auch darüber weshalb man keine Studien bei älteren Menschen macht, aber das ist ein anderes Thema….

Jetzt zum konkreten Fall : Damit die Patientinnen und Patienten nicht im Unruhezustand mit Fingern, die von der Altersarthrose geschwächt sind eine Tablette Fünfteln müssen oder Pflegepersonal das mehrmals täglich tun muss, so gibt es die Möglichkeit aus der 25 mg Tablette eine Kapsel herzustellen. Das ist zulässig. Die Tarife sind in der sogenannten ALT festgelegt. Würde man 20 Kapseln zu 5 mg herstellen aus der 25 mg Tablette, so käme das mit dem zermörsern der Tabletten, dem Sieben des Ganzen, dem „Strecken“ der gemörserten Tablette mit Mannitol und der Befüllung der Kapsel auf ca. 90 Franken zu stehen. Alles ok gerechnet mit ALT Tarifen und hergestellt aus dem zugelassenen Produkt. Jetzt haben wir die Situation, dass wir rund 1000 Betten direkt und rund 200 indirekt versorgen und monatlich ca. 1200 mal eine solche Kapsel brauchen. Sowohl stationär primär in der Psychiatrie aber auch in den Heimen.

Jetzt ist es ja eigentlich vernünftiger sich die Substanz zu besorgen und daraus direkt Kapseln zu machen. Wir lassen uns diese Kapseln durch einen Lohnhersteller in grosser Serie herstellen. Wir verrechnen dann logischerweise nicht den ALT-Preis sondern unseren Einstandspreis und den für diese Preisklasse üblichen Vertriebsanteil.
So kommt die Kapsel auf rund die Hälfte des ALT-Preises. Diese Methode war in meiner fast 30-jährigen Tätigkeit nie ein Problem und ist in der Branche üblich, gerade bei Spezialdosierungen für Kinder und ältere Menschen. Jetzt hat eine Sachbearbeiterin einer kleinen Krankenkasse dies in Frage gestellt. Zuerst hat sie gemeint, dass sie nur zahlen, wenn wir das aus einem zugelassenen Produkt machen würden.
D.h. nach dieser Philosophie würden wir jeden Monat 240 Tabletten zermörsern, sieben, strecken und in Kapseln abfüllen. Total unvernünftig, aber es würde problemlos bezahlt mit 90 Franken pro 20 Kapseln.
Es dauerte ca. 15 Minuten (!) bis sie eingesehen hat, dass das nicht vernünftig ist und hat damit zuerst meine Kollegin und dann mich fast zur Verzweiflung gebracht. Dann ging’s noch einen Schritt weiter. Sie wollte uns eine genaue Kalkulation unseres Lieferanten wie der den Preis berechnet. D.h. Einstandspreis des Wirkstoffes, Arbeit, Amortisation etc. etc.; Sie müsse ja einen Anhaltspunkt haben, welcher Preis gerechtfertigt sei. 
Ich habe ihr nochmals erklärt, dass wir eine Offerte einholen für die Lohnherstellung und dann aufgrund des Fachwissens in etwa abschätzen können ob der Preis realistisch ist oder nicht. Wir brauchen ca. die Hälfte stationär, d.h. das Medikament belastet unser Budget. Deshalb seien wir da durchaus im gleichen Boot. Ich könne ihr die letzten Rechnungen zur Verfügung stellen, nicht aber die detaillierte Kalkulation des Lieferanten, das sei zu mindestens 50% dessen Geschäftsgeheimnis. Wenn wir das künftig machen müssen, dann verlieren wir diese Möglichkeit, weil niemand mehr bereit ist, diese Lohnaufträge anzunehmen. Und ich habe nochmals betont, dass wir das Medikament für rund die Hälfte dessen verrechnen was wir nach ALT könnten. Ich habe ihr dann nahegelegt doch einen Sachverständigen beizuziehen, weil sie Dinge behaupte, die vermuten lasse, dass sie sich noch bessere Kenntnisse unserer Branche aneignen könnte…. ; Meine Nerven waren dort schon über der Belastungsgrenze angelangt, so dass ich am Schluss eher unfreundlich wurde.
Sie hat jetzt das BAG gefragt ob sie oder wir richtig liegen. Wenn sich herausstellen sollte, dass wir das so nicht machen dürften, dann läuft die Berechnung künftig nach ALT. D.h. die Kapseln kosten das Doppelte. Dann gibt es keine halbstündigen Telefone wo es in mehr als der Hälfte der Zeit nur darum geht zu erklären wie die Herstellung in einer Apotheke funktioniert.  Das würde sehr viel in Frage stellen – gerade in der Kindermedizin respektive der Altersmedizin. Und : der Nebeneffekt wären deutlich höhere Kosten als bisher.  Auch hier: So werden Vernünftige in die Unvernunft getrieben…


Ich habe danach selber noch beim BAG nachgefragt und bekam zur Auskunft, dass wir doch einen Antrag stellen sollen, Quetiapin in die AML aufzunehmen…. D.h. das BAG sanktioniert die Haltung der Dame D.h. 5 seitiger Antrag mit klinischen Studien etc. ; und es ist ein Amtstarif …
Ich werden noch zum Wackeldackel, das Kopfschütteln hört kaum mehr auf …