Deregulierung und Bürokratieaabau – aber wie ?

Kolumne im Berner Oberländer vom 25. April 2015

In der aktuellen Diskussion um die Frankenstärke werden Deregulierungen und Bürokratieabbau gefordert. Da bin ich einverstanden, Regulierungen behindern unseren Alltag immer mehr.  Nur wie findet man da den Weg hinaus? Regulierungen fallen nicht spontan vom Himmel. Oft sind sie entstanden, weil in Einzelfällen die Grenze des gesunden Menschenverstandes überschritten wurde. Das Austesten von Grenzen ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes und liegt in der Natur des Menschen. In der Wirtschaft ist es die Grundlage für Innovation. Solange als Richtschnur die allgemein akzeptierte gesellschaftliche Norm und das gute Gewissen gilt, stellt sich auch für den Versuch Grenzen zu verschieben, kaum ein Problem. Problematisch wird es dann, wenn man sich um die Grenzen des Anstandes und des gesunden „Schäm-Di“ foutiert. Dann folgt der Ruf nach dem Staat. Nicht nur von jenen, die den Staat als einzig möglichen Regulator sehen. Leider allzu oft ausgerechnet von jenen, die heute nach grösst möglicher Deregulierung schreien. In diesem Fall um sich einen abgeschotteten Markt zu sichern oder Konkurrenten über übertriebene Regelungen auszuschalten. Für die heisst es dann: Deregulierung ja, ausser es betrifft die eigenen Pfründe.

Wie in der Wirtschaft ist es auch in der Erziehung: Für mich ist eine gute Erziehung jene, die den nötigen Spielraum für das Austesten der Grenzen einräumt, jedoch dann klare Regeln setzt, wenn die Grenze des Anstandes oder allgemeiner Konventionen überschritten ist. Die Definition der Grenzen und Regeln obliegt in der Erziehung der Familie, in der Wirtschaftswelt eben dem Staat und letztendlich dem Volk. Interessant ist, dass die Fans der antiautoritären Erziehung und die Fans der grenzenlosen Wirtschaft im jeweils gegenüberliegenden politischen Lager sitzen.

Auch ein „freier“ Markt braucht trotzdem Regeln, idealerweise definiert durch die Branchen selber. Je besser sie sich auf gesellschaftlich akzeptierte Standards einigen und diese eben nicht nach der alt-hergebrachten „Söi-Häfeli-Söi-Deckeli“-Politik oder dem „Du bist gut – ich bin gut“-Prinzip, sondern echt und griffig durchsetzen, desto weniger braucht es staatliche Regulierungen. Gelingt dies nicht folgt eben der viel bescholtene bürokratische staatliche Moloch, der sich eigendynamisch in den Verordnungen so weiter entwickelt, dass das ursprüngliche Anliegen unkenntlich gemacht wird – wie in der Familie auch, wenn Eltern unsinnige Grenzen setzen.

Will man das Übel wirklich an der Wurzel packen, so geht das nicht ohne eigenverantwortliche Initiative der Branchenverbände. Eigenverantwortung bedeutet ein hohes Mass an Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, der Umwelt und gegenüber kommenden Generationen. Die Branchen sind gefordert sich so aufzustellen, dass die staatliche Regulierung überflüssig wird. Staatlichen Regelungen ist genau das entgegenzuhalten! Die Erfahrungen mit überbordenden staatlichen Regeln sollte Motivation genug sein. Die Forderung der bürgerlichen Allianz viele Regulierungen aufzuheben erachte als reines Abschieben der Verantwortung an den Staat. Das ist politische Schaumschlägerei und vorgegaukelter Aktivismus. Es ist keine echte Lösung und schon gar keine bürgerliche! Die echt bürgerliche Lösung ist mit Eigeninitiative und Knochenarbeit verbunden. Sie hat als Feind nicht primär den Staat sondern die eigene Branche, die sich weigert für sich selbst gesellschaftlich akzeptierte Regeln zu erarbeiten, ihre Mitglieder darauf zu verpflichten und sie durchzusetzen.