Midlife

Kolumne Bödeli Info  vom 1.11.2015

Vor ein paar Wochen bin ich 50 Jahre alt geworden. Ich geb’s zu, ich hatte vorher etwas Mühe mit der Vorstellung. Ich bin nachdenklich geworden als ich zu realisieren begann, dass meine Perspektive auf noch folgende Jahre kürzer wird als der Blick zurück. Fast bei jeder Altersgrenze kommen die Gedanken daran, was man eigentlich noch so alles erleben möchte solange man bei guter Gesundheit ist. Oder daran was man alles verpasst hat oder anders hätte machen wollen. Bei mir hat sich das im Drang bemerkbar gemacht mir sportlich noch etwas beweisen zu müssen und die Leistungsgrenzen auszuloten. Es begann vor vier Jahren. Ich war damals als Grossrat eingeladen am Mini-Marathon am Vorabend des Jungfraumarathons mitzulaufen. Unsere Tochter lief ebenfalls, mit dem Gymer. Sie sagte im Vorfeld zu mir: „Dich schlage ich noch lange!“ Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen und habe heimlich zu trainieren begonnen – ich war damals ein ziemlicher Sportmuffel und bin nur noch in die Breite gewachsen. Jeweils morgens um 6 Uhr bin ich heimlich los und habe 5-km Runden nach Bönigen und über den Flugplatz wieder nach Hause gemacht. Und tatsächlich: ich habe sie geschlagen, wenn auch knapp.  Für mich selber habe ich gemerkt, dass mir das Laufen gut tut. Nicht nur wegen dem Laufen selber, sondern wegen dem gedanklichen Time-out. Ich komme jeweils gar nicht dazu über Berufliches nachzudenken und kann wunderbar abschalten. Man kann zu fast zu jeder Tages- und Nachtzeit die Laufschuhe anziehen und losrennen. Es zählt kaum eine Ausrede, nicht einmal das Wetter. Im vergangenen Jahr habe ich mich nach meinem „politisch motivierten Zeitgewinn“ kurzerhand entschlossen das für den 50. Geburtstag geplante Projekt Jungfraumarathon ein Jahr vorzuverlegen. Die Zeit spielte keine Rolle (ich bin vor dem Kontrollschluss angekommen). Das Gefühl hat mich fasziniert, dass ein Resultat einzig und allein von mir selber abhängt. Ich kannte das vorher kaum – mein Beruf ist geprägt vom Teamwork in der Apotheke oder im Spital. Ich bin für einen kleinen Teil des Resultates verantwortlich und ein kleines Rädchen in einem Gesamtsystem. Verstehen Sie mich nicht falsch: das ist sehr gut so! Ich möchte das nicht anders haben. Hier beim Laufen war es etwas ganz anderes. Ich war alleine verantwortlich für die Leistung. Es gab niemanden, der einen Teil davon für sich beansprucht hat – obwohl die Familie viel Verständnis für mein Training aufbringen musste und ich deren Geduld manchmal etwas strapaziert habe. Ich habe nach dem Lauf eine ganze Weile gebraucht, um mich zu erholen. Trotzdem habe ich mich motivieren lassen in diesem Jahr den New York Marathon zu absolvieren. Der findet am 1. November statt. Wenn Sie dieses Bödeli-Info in den Händen halten bin ich möglicherweise unterwegs und laufe durch die Strassen von Manhattan. Die Zeit ist (fast) völlig egal. Was zählt ist die Emotion nach über 1300 km Training diese 42 km mit 52‘000 anderen Läufern durch hunderttausende von Zuschauern zu laufen und am Schluss das Gefühl des Stolzes auf die eigene Leistung zu geniessen. Dieses Gefühl erlangt man in der Politik nur ganz selten. Insbesondere bei Wahlen ist man direkt von Dritten abhängig. Dort ist es sogar so, dass man sehr viele Leute hinter sich scharen muss, um ein gutes Resultat zu erreichen. Ob mir das gelungen ist, wusste ich zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Kolumne nicht. Sie werden es beim Lesen wissen und verstehen, dass mir der Ausgleich zur Abhängigkeit von Dritten wichtig geworden ist.